Seit deutsche Schüler bei der PISA-Studie im Dezember 2001 ausgesprochen schlecht abschnitten und das gesamtdeutsche Bildungssystem in Verruf geriet, hat sich einiges getan. Nichtsdestotrotz ist die Kritik an übervollen Klassenzimmern, Lehrermangel und ausfallenden Schulstunden auch 18 Jahre danach noch aktuell und berechtigt. Dabei vergessen wir, dass (schulische) Bildung nicht nur eine bürokratisch zu verwaltende Notwendigkeit ist, sondern in den wissbegierigen Phasen von Kindheit und Jugend Spaß und Erfüllung sein kann, von der wir ein Leben lang zehren.
Albert Camus, französisch-algerischer Literaturnobelpreisträger, erzählt in seinem autobiografisch geprägten Roman „Der erste Mensch“ unter anderem von dieser Freude am Lernen. Er schildert darin den Werdegang seines Alter Egos, der wie Camus selbst in der eher bildungsfernen Schicht Algiers bei der analphabetischen Mutter und der strengen Großmutter aufwächst. Nur durch den Einsatz eines engagierten Lehrers kann er das Gymnasium besuchen. Zwar geht es auch um die Suche des Sohnes nach dem früh verstorbenen Vater und der eigenen Identität, Bildungshunger und Lernbegeisterung des jungen Eleven nehmen aber besonders viel Raum ein. Es handelt sich um das letzte Werk des Schriftstellers und Philosophen, das posthum und erst 1994 erschien. Das Manuskript dazu wurde in dem Auto gefunden, in dem Camus 1960 tödlich verunglückte.
Bei der szenischen Lesung des Ein-Personen-Stücks in Bochum wird Schauspieler Joachim Król von dem fünfköpfigen Orchestre du Soleil musikalisch unterstützt. Elemente des traditionell maghrebinischen Rai und der französischen Musette bilden den Soundtrack und spiegeln gleichzeitig Camus‘ Verortung als algerischer Franzose in dritter Generation. Als Ich-Erzähler gelingt es Król eindringlich, die Kindheitserinnerungen des Existenzialisten wider Willen lebendig werden zu lassen. Er zeigt uns dessen Heimat als eine Welt voller Armut, aber auch Schönheit und Wissensdurst auf.
„Der erste Mensch. Die unglaubliche Geschichte einer Kindheit“ nach Albert Camus | Do 9.1. 20 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
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