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Vom Fußball zum Ballermann – Manni Breuckmann
Foto: Ulrich Schröder

Mythos ohne Titel

06. Juni 2016

In „Schnee am Ballermann“ kommt Manfred Breuckmann fast ohne Fußball aus – Literatur 06/16

Akustisch ist es schon eine große Nummer, als die markante Stimme des kultigen Fußball-Moderators Manni Breuckmann an diesem Freitagabend durch die Halle des Kessel- und Maschinenhauses im Schiffshebewerk Henrichenburg hallt. „Es wird Zeit, dass auch mal etwas Kultur nach Waltrop kommt“, säuselt der Dattelner augenzwinkernd ins Mikro und bringt damit gleich zu Beginn seiner Lesung einen Teil des etwa 50-köpfigen Publikums gegen sich auf. Dies wird nicht das letzte Mal an diesem Abend sein, dass nicht wenige Gäste die Stirn in Falten legen. Sogleich versucht er jedoch, die offensichtlich zahlreich anwesenden Waltroper zu beschwichtigen: Jahrzehntelang sei die Auffassung vertreten worden, dass das Schiffshebewerk zu Datteln gehöre, aber dies sei leider falsch. Ob der Ex-Moderator seine Fans an diesem historischen Ort ähnlich begeistern kann wie bei seinen legendären Live-Reportagen in der Schlussphase von Bundesliga-Spieltagen? Die Spannung wächst…   

Zwar akzeptiert Manfred Breuckmann, dass er weiterhin „in der Fußball-Schublade liegt“, doch tut er einiges, um diese zumindest ein Stückchen zu öffnen. So inszeniert er in „Schnee am Ballermann“ einen im Gelsenkirchener Stadtteil Buer geborenen Fußball-Ignoranten namens Frank Husniak als Protagonisten. Dieser sei von seiner Jugend an darauf geprägt worden, „böse“ zu sein, da er sich schlichtweg nicht für Fußball interessierte und in seinem Heimatort mitten im ‚Pott‘ daher als „Lusche“ gebrandmarkt und entsprechend gemobbt wurde: „Da wirsse in Gelsenkirchen-Buer zum Mörder“, ist Breuckmann überzeugt. Nach einer Kneipenschlägerei wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, emigriert der leibhaftige Anti-Fußballer nach langer Haft ins mallorquinische Exil: „Auf Malle hat jeder seine Daseinsberechtigung“, hebt der inselkundige Autor hervor, „der Golfer und der Ballermann.“ Doch auch hier gelingt es Husniak nicht, sein pathologisches Gemüt zu zügeln, und gleich zum Krimi-Auftakt wird er zum Mörder einer paraguayischen Prostituierten. Sie wird eine von mehreren Toten im Buch sein...

„Das wichtigste ist, wie in der Weltliteratur, der erste Satz“, betont Breuckmann – um mit seiner skurrilen Wahl einmal mehr Stirnrunzeln im Publikum zu ernten: „Martí Barreto popelt für sein Leben gern.“ Seine Frau habe ihn vor diesem Anfangssatz gewarnt, er sich aber dennoch dafür entschieden, die Vorlieben des Nachtportiers in einem mittelmäßigen Hotel im Südosten von Mallorca an den Beginn des Buchs zu stellen. Und wenig später folgt der nächste Knaller, als der Autor ins Publikum hinabsteigt, um in den Reihen der altersmäßig überwiegend im Bereich Ü50 angesiedelten ZuschauerInnen zu erfragen, wer denn wisse, was ‚Gang Bang‘ sei. Wieder liegen viele Stirnen in Falten. Als das zotige Geheimnis nach zögerlichen Antwortversuchen gelüftet wird, bittet Breuckmann eine etwas verschüchtert wirkende Bielefelderin auf die Bühne, die dort eine gefühlte Ewigkeit verharren darf, um dann im Kontext einer ausführlichen Ballermann-Milieustudie endlich eine ihr zugedachte Kurzreplik abfeuern zu dürfen. Manni schenkt ihr ein Buch und die Frau hüpft glücklich wieder zurück ins Publikum.

Als nächstes erwischt es in Breuckmanns Malle-Krimi einen Tonstudio-Mitarbeiter, der nach einer Handgranaten-Detonation unweit eines Swinger-Clubs im dort parkenden Porsche-Cayenne seines Chefs zu Tode kommt. Gleich in der nächsten vorgetragenen Passage wird am hellichten Tage ein ‚falscher Fakir‘ vor einer touristisch stark frequentierten Kathedrale dahingerafft. Man wisse in „Schnee am Ballermann“ stets, wer der Mörder sei, verrät der Autor – es gehe lediglich darum zu erfahren, was das Motiv sei. Dennoch zeigt sich ein Teil des Publikums ob der scheinbar sinnlosen Häufung der Morde im Rotlicht- und Kokser-Milieu der Insel zunehmend irritiert. „Der Klumpatsch von Mord und Tod und Blut wird sich im Laufe des Krimis auflösen“, versucht Breuckmann zu beruhigen.

„Bücher verkaufen ist verdammt schwer – es gibt nur ganz wenige, die da so richtig viel Geld mit verdienen“, sinniert der Autor. Glücklicherweise ist Breuckmann, der auch im (Un-)Ruhestand weiterhin als Moderator in Erscheinung tritt, auf diese Einnahmequelle nicht angewiesen. Und als die Lesung in eine allgemeine Autorenbefragung übergeht, die sich sogleich um das Thema Fußball dreht, ist sie plötzlich noch einmal da, die wohlbekannte sonore Moderatorenstimme: Breuckmann gibt sich sicher, dass Frankreich Europameister werde und sich Deutschland bereits über ein Erreichen des Halbfinales freuen könne. Auf die Frage, wann Schalke denn mal wieder deutscher Meister werde, hallt es wie zu Beginn durch die Halle, dass die Luft zu vibrieren scheint, und sofort hat Manni das laut lachende Publikum wieder auf seiner Seite: „Ein Mythos braucht keinen Titel!“

Ulrich Schröder

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