Erstmals zählte in diesem Jahr Witten zu den Tatorten des internationalen Festivals „Mord am Hellweg“. Einen starken Akzent setzte das Westfälische Landestheater dort mit der Krimi-Inszenierung „Passagier 23“ nach der gleichnamigen Bestseller-Romanvorlage von Sebastian Fitzek, der für den Europäischen Preis für Kriminalliteratur 2016/17 nominiert ist. Mit der Bühnenadaption von Christian Scholz gelang am 4.11. im Wittener Saalbau ein großer Publikumserfolg vor fast ausverkauftem Haus. Rund 650 Gäste sahen spannendes, zuweilen verstörendes Krimi-Theater, bei dem das sensible Thema Kindesmissbrauch in den Kontext eines Psychothrillers auf hoher See gestellt wird: „23 sind es jedes Jahr weltweit, die während einer Kreuzfahrt verschwinden.“ Was das Festival-Programm verschweigt, ist die wesentlich höhere Dunkelziffer. Wird der Zuschauer anfangs noch sprichwörtlich im Dunkeln gelassen, wer die Opfer sind und wer die Täter, ist die Auflösung umso erhellender und schockierender. Nur so viel: Gerade für den – nicht immer (ausschließlich) körperlichen – Missbrauch von Kindern gilt, dass die Täter oftmals zuvor Opfer waren. Zuweilen gelingt diesen eine planvolle Rache...
Ein weiteres Highlight der regionalen Literaturszene stand am 11. November im Martin Luther Forum Ruhr in Gladbeck an: Zum 31. Mal wurde vor etwa 100 Gästen der vom Regionalverband Ruhr (RVR) ausgeschriebene Literaturpreis Ruhr vergeben. Den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis erhielt der Lyriker Jürgen Brôcan. In seinem Werk widmet sich der 1965 geborene Dortmunder vor allem der „Ruderalpoesie“, mit der Ruhr-Region als Koordinatensystem einer industriell geprägten Landschaft, die schrittweise von der Natur zurückerobert wird. Förderpreise zum Thema „Musikgeschichten“ erhielten zudem Sabine Vieweg (Duisburg) für eine Hommage an die Tango-Kultur und Martin Kasch (Köln), der einem vor dem faschistischen Franco-Regime nach Deutschland geflohenen spanischen Gitarristen ein liebevolles Textdenkmal setzte. Einen weiteren vom Rotary Club Essen gestifteten Nachwuchs-Förderpreis erhielt die Duisburgerin Verena von Plüskow für eine musikalische Kurzgeschichte über die ungebrochene Lebensfreude einer gebrechlichen Urgroßmutter. Insgesamt stellten die 181 Einsendungen unter Beweis, dass der Literaturpreis nicht etwa – wie im schwarz-rot-grünen RVR-Koalitionsvertrag vorgesehen – künftig nur alle zwei Jahre, sondern auch weiterhin jährlich vergeben werden sollte.
Damit jedenfalls würde gefördert, dass die „Macht & Subversion in der Literatur“ gerade in der größten Post-Industrieregion Europas weiterhin eine spürbare Rolle im gesellschaftlichen Diskurs spielt. Diese Funktion der Wortkunst hob das Gladbecker Literaturbüro Ruhr in seiner nach elf Wochen zu Ende gegangenen Veranstaltungsreihe „Ausgebootet“ programmatisch hervor – so etwa am 17.11. mit einer Lesung des bosnisch-herzegowinischen Autors Saša Stanišić aus seinem Erzählband „Fallensteller“ im proppenvollen Lokal Harmonie in Duisburg. „Stanišić ist ein Bewahrer, Archivar, ein Retter des Alltags und der Abgründe der sogenannten kleinen Leute vor dem Vergessenwerden“, konstatiert Gerd Herholz vom LiteraturBüro Ruhr. 2017sondiertdas Literaturbüro dann die „nahe Zukunft in der Literatur“mit demProjekt „Über Leben!“
Literaturszene im Ruhrgebiet: Literatur Büro Ruhr
http://www.ausgebootet.eu
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