Eric Friedländer, ein echter New Yorker, hat sich in den Neunzigern als experimenteller Cellist zwischen den Welten von Avantgarde-Jazz und Zeitgenössischer Musik in der dortig blühenden Downtown-Szene ausprobiert. Natürlich wirkte er beim Soundtrack zum Film über Malcolm X mit, arbeitete mit Intellektuellen wie Fred Hersch und mit dem Saxophon-Hero John Zorn. 2015 wurde er vom Jazzmagazin Down Beat ausgezeichnet. In seinem aktuellen Projekt, mit dem er jetzt im Kölner Stadtgarten gastiert, hat er sich „La fée verte“ zugewendet. „Die grüne Fee“ bezeichnet liebevoll das grüne starkprozentige Getränk, das als Wermut auch medizinisch zum Einsatz kam. Neben einer euphorisierenden, berauschenden und anregenden Wirkung kann Absinth zu einem gesteigerten Farbempfinden sowie, in größeren Mengen, zu Halluzinationen und psychischen Problemen führen. Diese Bewusstseinserweiterung interessierte den Cellospieler, wie schon zuvor Dichter und Maler und Künstler aller Art – Freidenker, die auch unerprobte und vielleicht sogar manchmal verbotene Wege gehen wollen.
Die Anregung zu dieser auskomponierten Studie erhielt Friedländer durch die Absinthglas-Skulpturen Picassos, die sich als formale Vorlage für einen kammermusikalischen Jazz-Zyklus eigneten. Und für den Avantgardisten wirkt die Besetzung geradezu klassisch. „Ich habe nie eine Standard-Rhythmusgruppe mit Cello verwendet“, meint Friedländer auf jazztimes.com, „und ich hatte das Gefühl, dass ich dafür bereit war. Ich meine, es geht um Absinth und seine Geschichte als Halluzinogenes, aber in gewisser Hinsicht handelt es sich auch um eine Aussage über das traditionelle Jazzquartett. Aber mit Cello anstelle von Trompete oder Saxophon.“
Das Auf und Ab der Gefühle, den Wechseln zwischen strengen Arrangements und ausschweifender Improvisation, besonders aber den immanenten Stilbrüchen folgt am Klavier Uri Caine, weltberühmt für seine sogenannten „Dekonstruktionen“ klassischer und romantischer Meisterwerke. Bei ihm traf Mozart auf einen Scratcher, Bach auf Klezmer und Blues, Schumann interpretierte der Freestylist David Moss.
Ergänzt wird das Quartett vom Bassisten Mark Helias und dem Schlagzeuger Ches Smith, gemeinsam heißen sie Throw a Glass oder The Throw. Und ein Glas geht immer noch, obwohl man mit Absinth aufpassen sollte: Der Rausch ist gut, die Rückkehr nicht garantiert.
Erik Friedlander's „The Throw“ | Do 6.2. 20 Uhr | Stadtgarten, Köln | 0221 95 29 94 11
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