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Literatur macht Spaß: Das Lese-Team des Rekorders auf den Spuren der Beat-Generation
Foto: Benjamin Trilling

Die Geburtsstunde des Hipsters

06. August 2015

Read the Beats-Lesung am 5.8. im Rekorder in Dortmund

Was macht den jeweiligen Zeitgeist aus? Was definiert die jeweilige Kunst und Lebensweise einer Epoche? Es geht um Inspirationen, Ideen, Irrungen genauso wie Stil und Selbstverständnis. Geht man auf Zeitreise und taucht ab in den Geist der Beat-Generation, dieser rebellischen, romantischen, zuweilen subversiven literarischen Strömung, findet man sich plötzlich unter lauter Hipstern wieder und ladet doch wieder in der Gegenwart.

Denn mit dem Beatnik war der Prototyp des Hipsters geboren. Ein lebendiges Bild dieser jungen Subkultur, die als Beat-Generation zusammengefasst wurde, eine Generation von KünstlerInnen und AußenseiterInnen, die existentialistische Werke überflog, reichlich Drogen konsumierte, auf Jazz abging und das Rebellische, das Aufmucken gegen die Mainstream-Gesellschaft und die etablierte Hochkultur als hippen, alternativen Individualismus auslebte, eröffnet Jack Kerouacs „On the Road“ („Unterwegs“). Im rappelvollen Keller des Rekorder las Frederik Schreiber aus dem vierten Kapitel des Kerouac-Klassikers.

Suche nach Freiheit, Sex und Drogen

Dass er zugeben musste, den Roman nie ganz am Stück gelesen zu haben, sondern den Text mehr als „Bahn- und Klo-Lektüre“ durchgenommen zu haben, hätte ihm Kerouac selbst sicher nicht Übel genommen – lehnte er doch wie viele seiner Beat-GenossInnen die elitäre Hochkultur ab. Wahrscheinlich hätte er darauf einen Whiskey geköpft. Denn gesoffen wird schon alleine in der vorgelesenen Roman-Passage zuhauf: „Die Flasche ging herum. Die großen funkelnden Sterne kamen heraus, die weit zurückbleibenden Sandhügel wurden undeutlich. Ich fühlte mich wie ein Pfeil, der die ganze Strecke durchfliegen konnte.“ Nicht zuletzt die klare Sprache, mit der Kerouac seinen stark autobiographischen „Road-Movie“ beschreibt, das unbekümmerte Reisen durch die Weiten der USA, die Suche nach Freiheit, Sex, Jazz, Marihuana, Alkohol, als berauschte Existenz fasziniert noch immer – trotz der auch sexistischen Lebensweise der Macho-Protagonisten.

Als Meisterwerk der Beat-Generation gilt auch Allen Ginsbergs Gedicht „Howl“ („Das Geheul“). Das Duo Dond und Daniel las den Text auf deutsch und englisch – zum Glück, denn vor allem in der Originalfassung gibt es einen tollen Klang der Worte: „yacketayakking screaming vomiting whispering facts and memories and anecdotes and eyeball kicks and shocks of hospitals and jails and wars.“

Das Duo Dond und Daniel performte Ginsbergs „Howl“, Foto: Benjamin Trilling

Dass sich die Beat-Generation auch auf die deutschsprachige Literatur auswirkte, zeigte Julian Gauda mit dem Essay „Christ und Welt“ von Rolf Dieter Brinkmann, in dem er proklamiert, dass die „neue Welt nur entdeckt werden kann durch die Eroberung des inneren Raumes“. Für Brinkmann war Pop noch Revolte: Inspiriert vom amerikanischen Pop-Art und gegen die bestehende Hochkultur gerichtet, wollte er eine neue Subjektivität und eine antiautoritäre Ästhetik.

Wie ein solcher Ansatz später nur in angepasster Postmoderne und Popliteratur (oder Hipster-Paralyse) aufgehen konnte, nehmen vielleicht die „Revolutionären Briefe“ von Diane di Prima, die die RUB-Anglistin Martina Pfeiler im Rekorder präsentierte, vorweg. „Befreit alle politischen Gefangenen“, heißt es am Anfang. Das wird dann aber polemisch ad absurdum geführt, wenn die Forderung sowohl für Angela Davis als auch für Richard Nixon gilt. Was rebellisch beginnt, verpufft als ironischer Abgesang auf politisches Engagement.

Die Ära der Beatniks wird im Rekorder wieder zum Leben erweckt. Ja, sie sind uns sogar auf den Fersen. Sicher, man kann die Hipster-Menatlität als schlechtes Recycling davon ansehen. Doch vielleicht muss jede Generation ihre eigenen Widersprüche ertragen. Man kann über die damalige Zeit staunen: Was für ein Zeitgeist! Rebellische Romantik und Romantik der Rebellion: Bohemiens, die schreiben können, die mit unterschiedlichsten Lebensformen experimentieren, die sich subversiv geben und doch stink-konservativ sind – und dabei so nah an unserer Zeit. Ein dröhnendes (wie zugedröhntes) Bekenntnis zu einem glücklichen Leben (beat-itude). Man kann sie bewundern: Wegen ihres naiven Freiheitsdrangs, der sinnlichen Sprache ihrer Werke oder der unbekümmerten Aufbruchstimmung? Vielleicht einfach nur, weil sie es sich noch leisten durften.

Benjamin Trilling

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