Zwei neue Comics zu zwei Themen, die leider immer noch sehr aktuell sind: zum einen geht es um die Verfolgung von Naziverbrechern – ein Thema, das durch den wiedererstarkten Antisemitismus nicht nur in Deutschland einen neuen Blick verdient. Zum anderen geht es um das Miteinander von Palästinensern und Israelis.
Ernst Bauer bemühte sich seit den 1950er Jahren als deutscher Staatsanwalt um Gerechtigkeit nach 1945, der israelische Geheimdienst Mossad suchte mit Geheimdienstaktionen in aller Welt nach Nazis, und die Privatleute Beate und Serge Klarsfeld jagten seit den 1960er Jahren von Frankreich aus untergetauchte hochrangige Naziverbrecher. Pascal Bresson und Sylvain Dorange erzählen von Leben und Arbeit des Paares in ihrem Comic „Beate & Serge Klarsfeld – Die Nazijäger“. Als 1960 das Au-Pair-Mädchen Beate Künzel in Paris den französischen Politikstudenten und späteren Juristen Serge Klarsfeld kennen und lieben lernt, lernt sie zugleich einen anderen Blick auf ihre Heimat, in der Naziverbrecher gedeckt werden und sogar ungeniert Karriere machen. Beate beginnt, sich zu engagieren – erst mit Texten, dann mit Taten. Eine ihrer bekanntesten ist die Ohrfeige, die sie 1968 dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und Bundeskanzler Kiesinger erteilt. Neben verschiedenen Nazis, die in Frankreich Verbrechen begangen haben, wird vor allem die Jagd auf Klaus Barbie, der die Deportation von über 70.000 Juden in Lyon zu verantworten hatte, zur Lebensaufgabe der Klarsfelds. Der Comic springt dramaturgisch elegant zwischen den Zeiten und erzählt spannungsgeladen und informativ von seinem Thema.
Von hier ist es thematisch nur ein kleiner Sprung zum Israel der Gegenwart. Die israelische Kinderbuchautorin und Comiczeichnerin Rutu Modan hat mit „Tunnel“ ihre dritte und mit fast 300 Seiten bislang umfangreichste Graphic Novel vorgelegt. Wie in den Vorgängern „Blutspuren“ und „Das Erbe“ geht es um eine Spurensuche in der Vergangenheit. Auch das verbindet ihre Arbeit mit dem Comic über die Klarsfelds. Den leichten Tonfall ihrer Comics hat sie vielleicht von ihren Kinderbüchern übernommen, die dramaturgischen Finessen sind oft maßgeschneidert auf das Medium Comic angewandt. In „Tunnel“ kombiniert Modan Action mit Slapstick, Gesellschaftsporträt und Gaunerkomödie. Die alleinerziehende Nili will das Vermächtnis ihres dementen Vaters aufgreifen: Der Archäologe schien kurz davor, die Bundeslade mit den 10 Geboten zu finden. Doch der Tunnel, der zu ihr führt, verläuft unter der Mauer zum Westjordanland. Nicht nur die Palästinenser in der Region argwöhnen, was Nili und ihr amateurhaftes Forschungsteam, darunter orthodoxe Juden mit einer ganz anderen Agenda, dort suchen. Auch ein Konkurrent des Vaters zeigt größtes Interesse. Rutu Modan zeichnet ihre turbulente Satire im Stil der Ligne Clair, die man vom Tim & Struppi-Erfinder Hergé kennt. Alleine der Stil fängt die Brisanz des Themas auf, der Humor tut sein Übriges, um die Brisanz freundlich abzufedern. Und dennoch sind die Figuren keine Klischees oder Abziehbilder, sondern als vielschichtige, ernstzunehmende Figuren angelegt (beide Carlsen Verlag).
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