Chilly Gonzales bekommt am 26. Mai in Toronto die Ehrenmitgliedschaft des Royal Conservatory of Music verliehen. Das selbsterfundene kanadische Enfant terrible der Klassik- bis Punk-Szene hatte seine ausgefallene Performance über Jahre zu Kultstatus veredelt. Aber Chilly pöbelt und blödelt nicht Helge-artig auf der Bühne, er gibt tatsächlich den engagierten Musikvermittler mit großem Geschick und überraschender Wirkung. Kurz vor seiner Auszeichnung gastiert er erstmals bei den Ruhrfestspielen.
Sein Markenzeichen „Bademantel“ karikiert eher Udo Jürgens als Dittsche, und auch in dieser Äußerlichkeit steckt ein kluger Kopf: „Ich habe heute einen ganzen Schrank voll mit Bademänteln. Der Mantel bietet manchen Vorteil. Er kreiert eine ästhetischere Formung des Klavierspielers und überdeckt rutschende Hosen oder hängende Hemdzipfel. Dann spielt der Mantel mit der Respektlosigkeit, wenn ich in den großen Konzerthäusern auftrete. Andererseits schaffen Mantel und Pantoffeln eine Vertrautheit: Ihr seid bei mir daheim!“
Berlin war der eigentliche Geburtsort des heutigen Wahlkölners Gonzales. Sein erstes Album prägte noch Rap, Electro und Performance Art. Der Künstler im Rückblick: „Ich wollte die Grenzen ausloten bei der Frage: Was lässt die Bühne zu? Eigentlich bin ich brav, ich habe studiert, übe jeden Tag Klavier. Aber ich suche die Herausforderung.“
In Gelsenkirchen führt er sein Piano-Solo-Album 3 vor, Schlussstein einer Trilogie, wie alles bei Chilly entstanden ohne äußeren Druck. „Ich musste warten, bis ich wieder etwas Neues zu sagen habe am Klavier. Das ist eine große Herausforderung. Man kann nicht weniger haben als nur ein Piano: ein Mann, ein Piano, ein Lied.“ Deshalb bringt er sich zur Sicherheit einige wenige Gäste mit. Der Pianist über seinen musikalischen Anspruch: „Meine Solo-Piano-CDs lassen sich auch gut als Hintergrundmusik genießen“, sagt Chilly, „und die Leute haben ein Recht auf gute Unterhaltungsmusik. Ich war lange Barpianist, ich weiß, wovon ich spreche. Aber meine Musik kann auch sehr befriedigend sein, wenn jemand konzentriert zuhört.“
Es gibt auch einen Film über den Künstler, und in seinem Urteil über dieses Produkt verrät er einiges über seine Auftritte: „Das ist eine echte Geschichte über meine Karriere. Der Film wirkt wie eines meiner Konzerte: Er ist unterhaltsam, radikal und poetisch!“
Chilly Gonzales: Solo Piano III | geplant: So 24.5. 20 Uhr | Ruhrfestspielhaus | 02361 921 80
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