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Ein Fremder am See: Pierre Deladonchamps in „Die kanadische Reise“.
Foto: Presse

„Am Set war immer Hochspannung angesagt“

30. November 2017

Pierre Deladonchamps über „Die kanadische Reise“, Philippe Lioret und Schicksal – Roter Teppich 12/17

In Frankreich zählt Pierre Deladonchamps zu den großen Shooting-Stars seiner Generation. Der 1978 in Nancy geborene Mime studierte an der Schauspielschule „Cours Florent“ in Paris und wurde in seinem Heimatland durch Fernsehrollen bekannt. Seinen internationalen Durchbruch feierte er 2013 mit der Hauptrolle in Alain Guiraudies „Der Fremde am See“, der in Cannes den Regiepreis und die Queer Palm gewann. Danach spielte Deladonchamps in einigen hierzulande noch nicht ausgewerteten Filmen und in der auf DVD erschienenen Miniserie „Trepalium: Stadt ohne Namen“. Am 14. Dezember startet nun Philippe Liorets neuer Film „Die kanadische Reise“, in dem Deladonchamps auf familiäre Spurensuche in Kanada geht.

trailer: Monsieur Deladonchamps, für Mathieu ist die Reise nach Kanada etwas völlig Neues. Waren Sie für die Dreharbeiten auch zum ersten Mal in Kanada?

Pierre Deladonchamps: Nein, ich war auch schon für die Pressearbeit für „Der Fremde am See“ in Kanada. Das war ja mein erster Film, und ich war mit ihm auf den Filmfestivals von Montreal und Toronto. Die Dreharbeiten zu „Die kanadische Reise“ waren dann mein drittes Mal in Kanada.

Wahrscheinlich haben Sie bei diesen Dreharbeiten aber zum ersten Mal die tolle Landschaft von Kanada kennengelernt, oder?

Ja, das stimmt, ich war zum ersten Mal in der kanadischen Wildnis, und ich habe dort auch zum ersten Mal für die Dreharbeiten über einen Monat am Stück zugebracht. Das war schon anders als bei den ersten beiden Besuchen, bei denen ich jeweils nur ein paar Tage geblieben bin und ausschließlich mit Interviews beschäftigt war. Nun hatte ich endlich die Gelegenheit, Land und Leute besser kennenzulernen.

Haben Sie die kanadische Wildnis und das Angeln gehen genossen, sind Sie eher ein Naturbursche?

Ja, es war überwältigend. Es hat mir wirklich sehr gut gefallen, weil es da draußen wunderschön und auch unglaublich ruhig ist. Nicht so toll waren allerdings die zahlreichen Stechmücken, denn im Juli und August gibt es davon in Kanada jede Menge. Es gibt dort drei verschiedene Arten von Moskitos, die ziemlich lästig sind, weil man nach ihren Stichen richtige Löcher in der Haut hat. Sie sind zwar nicht gefährlich, aber doch ganz schön nervtötend, zumal ihre Stiche sehr stark jucken.

Sind Sie selbst auch ein Familienmensch und hätten genauso reagiert wie Mathieu, der ja unbedingt seine Halbbrüder kennenlernen möchte?

Oh, ja, unbedingt. Ich bin auf jeden Fall ein Familienmensch und liebe es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Meine Eltern, meine Brüder und Schwester, meine Tochter… ich liebe es, wenn wir alle zusammenkommen, sei es an Weihnachten oder zu den Geburtstagen. Ich liebe diese vertraute Atmosphäre einfach.

„Die kanadische Reise“ basiert auf den Büchern von Jean-Paul Dubois. Haben Sie diese vor dem Dreh gelesen?

Nein, ich habe ganz bewusst darauf verzichtet, die Bücher vorher zu lesen, weil ich nicht enttäuscht sein wollte, dass bestimmte Passagen dann nicht im Drehbuch vorkommen. Regisseur Philippe Lioret hatte mir gesagt, dass er sich recht weit von der ursprünglichen Geschichte entfernt habe, deswegen wollte ich die Bücher lieber nicht vorher lesen. Aber Lioret hat mit mir und meinem Leinwandpartner Gabriel Arcand im Vorfeld sehr viele Drehbuchlesungen gemacht. Drei Tage bin ich nur für Proben nach Montreal gereist. Während wir gemeinsam das Drehbuch gelesen haben, haben wir zu dritt auch noch etliche Änderungen vorgenommen, um das Ganze besser zu machen.

Philippe Lioret ist ja ein sehr angesehener Filmemacher. Können Sie etwas genauer beschreiben, wie es war, mit ihm zu arbeiten?

Das war gar nicht so einfach, denn er ist eine recht komplizierte Persönlichkeit. Aber es gefiel mir trotzdem, denn es war eine Herausforderung, seinen Vorstellungen gerecht zu werden. Aber er ist ein sehr guter Schauspieler-Regisseur. Bei den Dreharbeiten mit ihm ist auf dem Set immer Hochspannung angesagt. Das ist manchmal ganz schön schwierig, aber andererseits ist die Atmosphäre dann auch immer hochkonzentriert, was zu tollen Ergebnissen führt.

Welche Szene war für sie denn die größte Herausforderung?

Die schwierigste Szene war wahrscheinlich die, in der wir nach der Leiche meines verstorbenen Vaters im See suchen und alle zusammen im Wasser herumstochern. An diesem Tag war es nämlich unglaublich heiß, die Kamera war sehr weit von uns entfernt, das war nicht einfach zu drehen. Wir mussten die Szene ziemlich oft wiederholen, das Wasser lief uns in die Anzüge, das war schon unangenehm. Aber wir drehten diese Szene am allerletzten Drehtag und steckten alle Energie hinein, die wir noch hatten. Die beiden Schauspieler, die meine Halbbrüder spielten, waren auch richtig nette Jungs, deswegen haben wir das am Ende dann doch noch gut hinbekommen.

Ihr wichtigster Leinwandpartner ist jedoch fraglos Gabriel Arcand, der eine zunächst kühle Figur spielt, die nur langsam auftaut. Wie war das Zusammenspiel mit ihm?

Oh ja, er war viel mehr als nur ein Leinwandpartner, wir waren regelrecht miteinander verbunden. Es war für mich ein großes Vergnügen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist einfach ein fantastischer Schauspieler, und wir haben uns auch sehr schnell miteinander angefreundet. In den schwierigen Passagen haben wir uns immer gegenseitig unterstützt, das war wirklich toll.

Mit „Der Fremde am See“ sind Sie damals international bekannt geworden. Der Film enthält auch einige explizite schwule Sexszenen. War das jemals ein Problem für Sie, um andere Rollen zu bekommen?

Nein, ganz und gar nicht. Ich fragte mich auch, ob mich die Leute nach diesem Film noch in anderen Rollen sehen wollen würden, weil der Film ja doch ziemlich radikal war. Aber ich hatte enormes Glück, in Frankreich war das nie ein Problem. Ich habe danach eine ganze Menge großer Filmrollen bekommen, und ich bin sehr stolz, dass mir dieser Film das ermöglicht hat.

Bevor Sie Schauspieler wurden, haben Sie Wirtschaftswissenschaften studiert. Haben Sie es jemals bereut, sich am Ende für diesen unsichereren Job entschieden zu haben?

Nein, über diesen Wechsel könnte ich gar nicht glücklicher sein. Das Wirtschaftsstudium war okay, aber ich wollte schon immer viel reisen, viele verschiedene Sprachen sprechen und als Schauspieler arbeiten. Das Wirtschaftsstudium habe ich nur begonnen, weil ich damit auch in der Welt herumgekommen und viele Sprachen gesprochen hätte. Die Schauspielerei war von klein auf mein großer Traum, aber ich hätte nie gedacht, dass ich in der Lage sein würde, ihn zu verwirklichen. Ich bin in Nancy aufgewachsen, und ein Schulfreund von mir war zu einem Vorsprechen in einer berühmten Schauspielschule in Paris geladen. Er fragte mich, ob ich ihn dorthin begleiten könne, weil er einen Anspielpartner brauchte. Dort muss ich einen so starken Eindruck hinterlassen haben, dass sie mir sagten, dass sie mich auch als Student aufnehmen würden. Das war ein seltsamer Zufall, oder Schicksal.

Kürzlich haben Sie mit einer anderen französischen Regielegende, André Téchiné, zusammengearbeitet. In „Nos années folles“ spielen Sie einen Mann, der sich als Frau verkleidet. Können Sie uns darüber noch etwas verraten?

Das war eine Erfahrung fürs Leben! Er ist ein fantastischer Regisseur, mit ihm zu arbeiten war sehr beeindruckend. Es war für mich eine sehr lustige Erfahrung, obwohl ich natürlich nicht wollte, dass meine Figur zur Karikatur verkommt. Ich bin mit Neugier und Respekt an die Rolle herangegangen, und ich bin froh darüber, dass Transmenschen mittlerweile auf der ganzen Welt mehr und mehr anerkannt werden. Meine Figur ändert zwar nicht ihr Geschlecht, sondern zieht sich nur als Frau an, möchte aber nicht mehr als Mann wahrgenommen werden. Bei ihm stellt sich gerade erst das Gefühl ein, dass er vielleicht eher eine Frau als ein Mann ist. Die Geschichte spielt ja zu Beginn des 20. Jahrhunderts, da konnte man sich eine Geschlechtsangleichung noch gar nicht vorstellen. Aber heutzutage hat man eher Respekt und Bewunderung für Menschen, die den Mut aufbringen, das durchzuführen. Das ist eine sehr große Entscheidung in ihrem Leben und in unserer heutigen Gesellschaft ist das Thema ebenfalls sehr wichtig.

Interview: Frank Brenner

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