 
		Berlin, Mitte der 2010er Jahre. Ein Journalist mit dem – einst zu Sowjetzeiten gekauften – Namen Leo Puschkin schreibt für eine Berliner Zeitung, ein „Regionalblatt mit bundesweiter Ambition“. Irgendwann beauftragt seine Vorgesetzte ihn, sich verdeckt vom russischen Auslandssender einstellen zu lassen und über dessen Praktiken zu berichten. Dieser Job zwingt Puschkin dazu, sich mit seiner Herkunft, seinem „inneren Osten“ auseinanderzusetzen, gar „knietief durch ostigen Sumpf zu waten“, wo er sonst ideologische Gräben meidet: „Ich bereute nicht, welche Seite ich zu wählen drohte – sondern hasste es, mich überhaupt für eine zu entscheiden.“ Stattdessen streckt er in seiner Freizeit mit einem Kumpel lieber Kaviar und navigiert – meist unter Einfluss diverser Spirituosen – durch die Fallstricke seines Reporterdaseins. Weil der Undercover-Auftrag nicht läuft wie geplant, schreibt Puschkin die Geschichte achteinhalb Jahre später trotz unterzeichneter Schweigeverpflichtung als Roman auf.
Nikita Afanasjew legt mit „Sputnik“ eine fiktive Autobiografie vor, die trotz ernster Themen mit Leichtigkeit aufwartet – etwa wenn Puschkin versehentlich als Online-Trolls arbeitende Personen während seiner verdeckten Ermittlung enttarnt. Dass ihn der unterwanderte Sender mit einer zusätzlichen Enthüllungsstory über seinen früheren Arbeitgeber beauftragt, führt zu einem herrlichen Verwirrspiel. Autor Afanasjew, selbst Journalist, geht so aus verschiedenen Perspektiven mit der „Journaille“ und den Praktiken rund um möglichst skandalöse Aufmacher ins Gericht. Sein Schreibstil bereitet dabei Vergnügen in jedem Absatz: Er zeichnet mit seiner Sprache reichhaltige Bilder, etwa von der im Vergleich ehrlichen körperlichen Arbeit des Kaviar-Streckens oder von Berlin, das „wie ein leckgeschlagenes Boot behäbig mit Touristen volllief“. Zudem begleitet er seinen Ermittler wider Willen nicht nur empathisch, sondern auch ironisch-distanziert, berichtet er die Ereignisse doch aus der Retrospektive. Auch das offene Ende mit Varianten im Epilog ist selbstironisch gehalten.
Nikita Afanasjew: Sputnik | Deutsche Originalausgabe | Voland & Quist | 224 S. | 24 Euro
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
 Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich)  unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

 Kämpfer & Mahner
Kämpfer & Mahner
Ilko-Sascha Kowalczuk im HMKV in Dortmund
 Radikale Gedanken
Radikale Gedanken
21. Literaturdistrikt in Essen
 Inmitten des Schweigens
Inmitten des Schweigens
„Aga“ von Agnieszka Lessmann – Literatur 11/25
 Die Liebe und ihre Widersprüche
Die Liebe und ihre Widersprüche
„Tagebuch einer Trennung“ von Lina Scheynius – Textwelten 11/25
 Mut zum Nein
Mut zum Nein
„Nein ist ein wichtiges Wort“ von Bharti Singh – Vorlesung 10/25
 Kindheitserinnerungen
Kindheitserinnerungen
„Geheimnis“ von Monika Helfer und Linus Baumschlager – Vorlesung 10/25
 Die Front zwischen Frauenschenkeln
Die Front zwischen Frauenschenkeln
„Der Sohn und das Schneeflöckchen“ von Vernesa Berbo – Literatur 10/25
 von chtren-textwelten-678.jpg) Im Spiegel des Anderen
Im Spiegel des Anderen
„Der Junge im Taxi“ von Sylvain Prudhomme – Textwelten 10/25
 Von Ära zu Ära
Von Ära zu Ära
Biographie einer Metal-Legende: „Sodom – Auf Kohle geboren“  – Literatur 10/25
 Kutten, Kohle und Karlsquell
Kutten, Kohle und Karlsquell
Lesung „Sodom – Auf Kohle geboren“ in Bochum – Literatur 10/25
 Alpinismus im Bilderbuch
Alpinismus im Bilderbuch
„Auf in die Berge!“ von Katja Seifert – Vorlesung 09/25
 von chtren-kinderwelten-b1-keine-angst-vor-gewittern-0925-678.jpg) Keine Angst vor Gewittern
Keine Angst vor Gewittern
„Donnerfee und Blitzfee“ von Han Kang – Vorlesung 09/25
Roman eines Nachgeborenen
„Buch der Gesichter“ von Marko Dinić – Literatur 09/25
Süß und bitter ist das Erwachsenwerden
„Fliegender Wechsel“ von Barbara Trapido – Textwelten 09/25
Geteilte Sorgen
„Lupo, was bedrückt dich?“ von Catherine Rayner – Vorlesung 08/25