Zukunft – dieses Wort nahmen schmallippige Politiker nach den Sondierungs-Hinterzimmertreffen so oft in den Mund, dass es zur Floskel verkommen ist. Letztes Jahr war es noch die thematische Klammer von Literatürk. Das Motto 2020: „Haste mal 'ne Zukunft“. In diesem Herbst heißt es ähnlich salopp: „War was?“ Die Frage verweist auf jene Hoffnung, die sich während der Coronapandemie breit machte, als Manche spekulierten, aus den vielen Krisensymptomen könne ein Lernreflex resultieren, eine gesellschaftliche Wendung zum Gerechteren.
Pustekuchen! Aber das Festivalteam von Literatürk hat für den November wieder eine Riege an Autoren eingeladen, die lose diesem Fragekomplex nachgehen. Wie war es etwa mit der Wette auf die Digitalisierung, von der alle sprachen, als Onlinemeetings unnötige Kurzflüge ersetzten? Antwortansätze verspricht vielleicht die Festivaleröffnung, bei der Dietmar Dath aus seinem aktuellen Roman „Gentzen oder: Betrunken aufräumen“ liest.
Denn Dath, Science-Fiction-Aficionado und Salon-Bolschewik, widmet sich in seinem „Kalkülroman“, so der Untertitel, dem deutschen Logiker Gerhard Gentzen. Zwei Protagonisten machen sich auf die Suche nach diesem Gelehrten, an den sich keiner mehr erinnert. Dabei betreten sie einen Denkraum, in dem sie auf andere Figuren treffen, etwa den einstigen FAZ-Verleger Frank Schirrmacher oder Amazons Aushängeastronaut Jeff Bezos. Gemeinsam kreisen sie um die Frage, wie die beeindruckende Rechenleistung eines Computers dem gesellschaftlichen Gemeinwohl dienen kann.
Das Festival, das als Hybridformat aus Präsenz- und Online-Lesungen stattfindet, lädt mit Mithu Sanyal eine weitere vielversprechende Vertreterin der Gegenwartsliteratur ein. Ihre Satire „Identitti“ erzählt von einer Professorin für Postcolonial Studies, die sich als Person of Color vorstellt und als Galionsfigur ihres Fachs gilt. Bis auffliegt, dass sie eigentlich weiß ist, was insbesondere Verfechter der Identitätspolitik implodieren lässt.
Literatürk gibt auch weiteren engagierten Stimmen eine Bühne, darunter Cânân Arın, Aktivistin der türkischen Frauenbewegung. Und Helon Habila konfrontiert uns in seiner Lesung mit den Flüchtlingslagern am italienischen Mittelmeer. Ja, auch da war was.
Literatürk Festival | 8. - 17.11. | div. Orte in Essen & online | www.literatuerk.com
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Reich der unsichtbaren Freunde
„Solche Freunde“ von Dieter Böge – Vorlesung 07/25
Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25
Neuer Blick auf Afrika
Lutz van Diik in der Essener Buchhandlung Proust
Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25
Ein Hund als Erzähler
„Zorro – Anas allerbester Freund“ von Els Pelgrom und Sanne te Loo – Vorlesung 06/25
Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25
Sicherheit unmöglich?
Die Lesung „Sicher nicht“ in Moers
Hartmut und Franz
Oliver Uschmann und sein Roman über das Verschwinden von Kafka – Literaturporträt 06/25
Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25
Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25
Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25
„Charaktere mit echten Biografien“
Oliver Uschmann über seinen Roman „Ausgefranzt“ – Literatur 05/25
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Die Unschärfe der Jugend
Diskussion über junge Literatur im Essener KWI – Literatur 04/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25