Weltweit ist Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater und -ensemble, das sie vor einem halben Jahrhundert gegründet hat, ein Begriff. In der alten Industriestadt mit der berühmten Schwebebahn soll es 2027 im ehemaligen Wuppertaler Schauspielhaus ein neues Pina-Bausch-Zentrum geben. Zusammen mit dem Theaterchef Boris Charmatz wird das Ensemble ab Ende Januar eine Neuauflage von „Nelken“ zeigen. Ist das dann eine museale Inszenierung oder eine zeitgenössische Interpretation des französischen Ausnahmetänzers und -choreografs? Können der Tanz und seine Choreografie überhaupt museal archiviert, geschweige denn in einem Kunstmuseum ausgestellt werden? Ein gerade im Bielefelder transcript Verlag erschienener Band der Reihe Tanz Scripte dokumentiert und analysiert dazu umfassend den gegenwärtigen Stand der Tanzkunst im Ausstellungskontext anhand der zeitgenössischen Tanzgrößen Anne Teresa De Keersmaeker, Xavier Le Roy und eben Boris Charmatz.
In vier engmaschig gegliederten Kapiteln befassen sich die Leser:innen bei der Autorin Katharina de Andrade Ruiz erst mit der historischen Entwicklung der Kunstpräsentation, um dann das immer weiter mäandernde Beziehungsgeflecht zwischen Bildender Kunst und Tanz zu entdecken. Von der frühen Kunstperformance geht es über Installationen bis eben zu Live-Tanzausstellungen der drei Protagonist:innen, streift aber auch avantgardistische Hybride wie John Cages erstes Percussions-Konzert, das bereits 1943 im New Yorker MoMA stattfand. Der akademische Ansatz dieser ehemaligen Doktorarbeit der Kunsthistorikerin und Tanzkritikerin ist dabei kein Hindernis beim Lesevergnügen, das ungezwungen und emotional einen enormen Mehrwert generiert, wenn sich interessierte Rezipient:innen darauf einlassen. Gerade die anschaulichen und dokumentarischen Wiedergaben der berühmtesten Werke der drei Tanzgrößen machen die künstlerischen Dimensionen im jungen akademischen und immer interdisziplinären Forschungsfeld nachvollziehbar. Insbesondere Wuppertaler Bürger:innen sollten sich da angesprochen fühlen, die immer noch am Konzept Pina-Bausch-Zentrum zweifeln.
Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt der Tanz ins Museum | transcript Verlag Bielefeld | 346 S. | 45,00 Euro
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Absurde Weltliteratur
Unterwegs mit Kafka in Gelsenkirchen
Mal angenommen, dies sei wahr
„Kälte“ von Szczepan Twardoch – Literatur 07/24
Kollektive Selbstermächtigung
„Be a Rebel – Ermutigung zum Ungehorsam“ von Victoria Müller – Literatur 07/24
Blicke auf Augenhöhe
„Die Blumenfrau“ von Anne-Christin Plate – Vorlesung 07/24
Eine unglaubliche Geschichte
„Die Komponistin von Köln“ von Hanka Meves – Textwelten 07/24
Warten auf Waffenruhe
„Wann ist endlich Frieden?“ von Elisabeth Raffauf – Vorlesung 06/24
Wie bedroht ist die Liebe?
„Reichlich spät“ von Claire Keegan – Textwelten 06/24
Gärtnern leicht gemacht
„Bei mir blüht’s!“ von Livi Gosling – Vorlesung 05/24
Abenteuerferien an der Ostsee
„Am schönsten ist es in Sommerby“ von Kirsten Boie – Vorlesung 05/24
Stabilisieren des inneren Systems
Volker Buschs Ratgeber zur mentalen Gesundheit – Literatur 05/24
Stadt der Gewalt
„Durch die dunkelste Nacht“ von Hervé Le Corre – Textwelten 05/24
Kindheit zwischen Buchseiten
„Die kleinen Bücher der kleinen Brontës“ von Sara O’Leary und Briony May Smith – Vorlesung 05/24
Von Pennsylvania in die Welt
„Taylor Swift“ von María Isabel Sánchez Vegara – Vorlesung 07/24
Repetitive Einsamkeit
Comics aus der (inneren) Isolation – ComicKultur 07/24
Zeiten(w)ende?
„Gedichte für das Ende der Welt“ von Thomas Dahl – Lyrik 06/24
Allzu menschlicher Sternenkrieg
Annäherungen an Philosoph:innen und Filmemacher:innen – ComicKultur 06/24