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Rüdiger Schmidt-Sodingen

Die Geschichte eines „Wochenendes“

25. Juli 2023

Herr Schier und seine Agenturen – Vorspann 08/23

Neulich vor dem Bochumer Capitol. Eine Freundin bleibt stehen und sagt: „Hier hab ich als Teenager doch ‚Ein total versautes Wochenende‘ gesehen!“ – „Was hast du?“, fragt ihre Begleitung ungläubig. „Na, diesen Film ‚Ein total versautes Wochenende‘. Das war so ein Episodenfilm mit Adriano Celentano Anfang der 1980er. Viel Klamauk. Aber ich erinnere mich noch, wie Celentano im Rolls-Royce von einem eifersüchtigen Mafiagangster verfolgt wurde und dann einfach den Schleier seiner Braut nahm und ihn hinter sich warf. Der Schleier blieb natürlich im Gesicht des Verfolgers hängen und das Auto fuhr dann mit großen Zick-Zack-Bewegungen direkt in die nächste Polizeistation. Ja, ich weiß, ziemlicher Klamauk, aber als Jugendliche fand ich es komisch…“

Der Starnberger Filmverleiher Heinz Gerhard Schier, der diesen Film Ende 1982 über den Düsseldorfer Verleiher Hans Graf ins Bochumer Capitol brachte, zählte viele Jahre lang zu den eifrigsten unabhängigen Filmlieferanten – und nutzte für die Vermietung seiner Filme verschiedene Agenturen, die größtenteils von Kinobesitzern geführt wurden: die von Heinrich Schwab geleitete Avis für den Bezirk Berlin, Walter Hamburgers Darmstädter C.H. für den Bezirk München, Fritz Kletts Beka-Film Frankfurt, die von Ines und Ewald Tontarra geführte Exquisit-Film Hamburg und Ingeborg und Hans Grafs Filmagentur Graf in Düsseldorf.

Nach einem soliden Start Mitte 1981 im Bielefelder Cinema wurde „Ein total versautes Wochenende“ dank der plötzlich einsetzenden Celentano-Welle mit „Der gezähmte Widerspenstige“ zum guten Geschäft. Der Film wurde bis Ende 1985 in vielen mittelgroßen Häusern, vor allem in kleineren Städten, Bahnhofs- und Nonstop-Kinos sowie Inselkinos wochen- und auch tageweise terminiert – wobei er in Großstädten auch einige Schachtelkinos mit 80 oder 100 Plätzen der führenden Kinobesitzer eroberte.

Im Verleihbezirk Hamburg konnte Ewald Tontarra, der selber Betreiber der Hansa-Kinocenter in Bergedorf, Geesthacht und Lauenburg war, den Celentano-Film dann bis in die Inselkinos von Freymuth Schultz und in die Hamburger UFA-Theater schleusen. Diese letzte größere Wiederaufführung von „Ein total versautes Wochenende“ Mitte 1985 läutete auch das Ende der Verleihbezirksagenturen ein, die sich 1986, nach einem tödlichen Herzinfarkt Gerhard Schiers während eines Telefonats mit Hans Graf, auflösten. Ines und Ewald Tontarra widmeten sich wieder ihren Kinos, Walter Hamburger gründete den Allround-Filmverleih und betrieb die letzten Aki-Bahnhofskinos in München, Frankfurt und Hannover weiter, Hans Graf brachte auf eigene Faust ein paar letzte Filme heraus und der ehemalige Ludwigshafener Kinobetreiber Fritz Klett ging in Rente. Die Zeit für kühnen Euro-Klamauk war definitiv vorbei, das europäische Starkino keine Konkurrenz mehr zu Hollywood. Am Silvesterabend 1986 feierte das „Wochenende“ dann seine deutsche TV-Erstausstrahlung auf, erraten, RTL plus.

Rüdiger Schmidt-Sodingen

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