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30. Oktober 2014

Das 22. blicke-Festival im Endstation Kino Bochum – Festival 11/14

Vor über 15 Jahren in einer Stadt am Rande des Ruhrgebiets fragte die Autorin dieses Artikels ihren Vater nach der Bedeutung der sprießenden Plakate mit dem Image-Spruch „Der Pott kocht“. Ihr Opa hätte vermutlich aufgrund solch großer Unkenntnis sein blau-weißes Maskottchen fallengelassen. Heute dagegen ist dieser Begriff zur Marke geworden, der mit Stolz propagiert wird, deren Wahrzeichen Merchandise-Produkte zieren. Man zelebriert die mundfaule Sprache, frönt dem ach so ehrlichen und bodenständigen Lebensstil und Umgang miteinander. Doch diese Romantik ist mehr verblendend als blendend, verkehrt sie ihre ursprüngliche Intention ins Gegenteil. Statt auf dieser Identität aufbauend neue Wege einzuschlagen, lullt die Trademark Ruhrpott ein und verleitet zum Einigeln in die auf einmal so schöne alte Welt. Sicher, wer die Vergangenheit ignoriert, wird beide Augen verlieren, doch das Ergötzen an retrospektiv Verklärtem engt die Sichtweise ein. Es gibt Initiativen, die sich diesem einseitigen Blickwinkel widersetzen. Dazu gehört das Filmfestival des Ruhrgebiets mit dem passenden Namen blicke, das seit 1993 Filme zusammenbringt und prämiert.

blicke hat Filmemacher aufgerufen, ihre ganz persönlichen Eindrücke des Ruhrgebiets kurz und prägnant auf Film zu bannen, mit der Idee, diese Sichtweisen zur Abstimmung auf einem Extra-Screen laufen zu lassen. Auf inhaltlicher Ebene wie auch auf der des Materials ist bei diesen kurzen Impressionen alles erlaubt. Unter dieser Prämisse stehen auch die kurzen und langen Beiträge, die sich über vier Tage austoben dürfen – alles ist dabei.

Die Schiffe im Meer des Wissens, auch Ruhr-Universität Bochum genannt, in „Markasit“ von Nico Joana Weber kollidieren in Bochumer Innenstadt mit den Pistoleros aus Matthias Schamps „Das Duell“. Ein Gedicht Rainer Maria Rilkes in Gebärdensprache trifft auf den angeregten Dialog bei einer Pommes über Christos „Big Air Package“. Die jungen Roma aus „Nadesha“ offenbaren ihre Ängste im größten Roma-Ghetto Bulgariens, der junge iranische Journalist Farrokh aus „Der Tag wird kommen“ stellt sich den Herausforderungen, die ein Wechsel vom Asylheim in eine neue Wohnung bereithält. 8-Bit Musik knallt auf eine Klang-Collage aus Scanner-Sound, Super-8 auf pulsierende Bildpunkte. Um eine historische Facette wird das breite Spektrum mit dem Stummfilm „S1“ aus dem Jahre 1913 erweitert. Nicht die Stadtschnellbahn stellt den Bezug zum Ruhrgebiet her, sondern das früheste erhaltene Filmdokument des Ruhrgebiets, da die Außenaufnahmen des Dramas auf dem berühmten (zumindest damals) Flugplatz Wanne-Herten stattfanden. Musikalisch untermalen werden dieses Kleinod der Filmgeschichte die Streicher von DASKwartett.

In diesem Jahr werden erstmals alle prämierten Filme im Anschluss an das Festival-Frühstück am Sonntag zu sehen sein und der geneigte Zuschauer mag dann selbst entscheiden, wie diese Beiträge die Sicht auf das Ruhrgebiet und aus dem Ruhrgebiet heraus erweitern. Sie werden nicht die Probleme dieser Region lösen, diesen Anspruch stellt das Festival auch nicht, aber sie werden sicherlich den klebrigen Kitsch der Industrieromantik zu lösen vermögen.

22. blicke-Festival | 19.11.-23.11. | Endstation Kino Bochum | www.blicke.org

LISA MERTENS

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