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Still aus dem Beitrag "Faxen" von Lisa Domin
Foto: Lisa Domin

Schnörkellos brisant

28. November 2018

Das Filmfestival blicke schaut nach vorn – und auch im 26. Jahr genau hin – Festival 12/18

Eine verrückte Taube huschte über die Leinwand in Langendreer, als  das Filmfestival blicke in die heiße Phase ging, sprich: an die Preisverleihung. Was heißt verrückt: Es ließ den Blick weit schweifen und die Pupille hüpfen – und so wollte die Intro-Animation vermutlich auch verstanden werden, passte jedenfalls gut zum Spektrum der prämierten Auswahl.

Mit Ausgabe 26 darf eine Reihe sich gut und gern Tradition nennen. Ob blicke das will, sei aber dahingestellt – träge wirkte es jedenfalls nicht. An die 200 Bewerbungen erreichten diesmal die Macher, die davon rund dreißig auswählten – als Basis für Jury-Entscheidung und die ganze Festwoche. Die nahm dann fünf Tage lang das Kino im Bahnhof in Beschlag und füllte nicht nur den Saal mit Filmkultur. Anders als je zuvor war blicke 2018 durch den Tod von Wolfgang Kriener, der das Festival mit gegründet und als treibende Kraft geprägt hatte. Mitleiterin Gabi Hinderberger sagte: „Es war ein trauriger Jahresbeginn.“ Man habe sich neu aufstellen müssen und es dann aber auch getan.

Wesentlich bleibt das Bekenntnis zur Region und der Anspruch, selbst so schnörkellos zu sein: Pott als Motto. Hinzu zu verschiedenen Schlaglichtern auf Ruhrthemen („Ein-blicke“) kamen nun Beiträge ohne diesen Bezug („Aus-blicke“), die mit einem eigenen Preis verknüpft waren und immerhin ein Drittel der Beiträge ausmachten. Ein Sonderfall war „(K)ein Ende der Kohle“: Das Werkstattgespräch brachte zwei Dokus von Jens Schanze zusammen – und damit ein für die Braunkohle verschwindendes Dorf mit nur scheinbar Exotischem: dem Tagebau in Kolumbien. Der Ruhrbezug war da, der kritische Blick diesmal global.

Ob es am Bekenntnis zum Bodenständigen liegt, dass so etwas Geschwollenes wie „soziale Relevanz“ im Konzept kaum zu hören war? Passen würde so ein gemeinsamer Nenner nämlich durchaus, auch zu ziemlich jeder der PreisträgerInnen 2018, die im Zeichen der Taube dann verkündet wurden. Den ersten Hauptpreis erhielt „Dann muss es ja ein was weiß ich was Gutes geben“ – Florian Andreas Dedek hatte den Fall seiner Eltern aufgerollt, die auf fragwürdiger Basis eines Sabotageakts beschuldigt worden waren und acht Jahre in Haft saßen. Der zweite, beide gestiftet von den Stadtwerken Bochum und der „Dorfpostille“, ging an „Faxen“ von Lisa Domin, dessen Akteurin durchaus ernsthaft Buchstaben in die Luft malte. Konstanten sind die Sonderpreise: Der trailer stiftete wie stets den Querdenkerpreis, und diesmal ging er an „Flüsse Täler Berge“ von Marco Kugel über die Schließung des letzten deutschen Schienenwerks. Neu hingegen der „Aus-blicke“-Preis, der „Rebar“ zugesprochen wurde: ein Film rund um einen Autisten, zu dem die Jury lobte: „Er lässt sich rückhaltlos auf die Perspektive seines Protagonisten ein.“ Den Preis „action: gender" von der städtischen Gleichstellungsstelle sprach die Jury „Tiefenschärfe“ über drei NSU-Morde von Mareike Bernien und Alex Gerbaulet zu. Nicht zuletzt und etwas anders der Publikumspreis: „Made in Langendreer“ zeigte einen coolen Sturkopf mit dem Vorsatz, sich nicht zu rasieren, ehe sein Eigenbau-Fahrrad fertig war. So etwas war schon durch seine Live-Zugabe im Saal nicht wiederholbar, wo der vollbärtige Herr sein Werk (das Rad) zum Kauf bot: „Ich nehme Bargeld“ – es wartete im Kinocafé.

Schön unter dem, was sich gleich blieb, war wiederum die Form des Festivals. „Es ist toll, wie ihr diesen Raum ausgestaltet“, formulierte Natascha Frankenberg, die die Verleihung moderierte, und „Raum“ meinte im Grunde das halbe Haus: Der dem Kino gewidmete rechte Bahnhofsteil wurde wie stets komplett bespielt. Im Obergeschoss konnte man an Monitoren mit Kopfhörer Platz nehmen und unter anderem einen Kurzfilm schauen, den 10- bis 14-Jährige bei den „Kinder- und Jugend-blicken“ in den Herbstferien gestemmt hatten – von der Geschichte übers Drehen und Spielen bis zum Schnitt. Und im Café gab es am „Tresenmonitor“ ein Haushaltsgerät in Dauerschleife: einen selbsttätigen Staubsauger, der aus vier Einstellungen diskret die Zimmerdecke filmte. So spielte auch diese kleine Arbeit ins Politisch-Technikkritische, wobei ein thematisch ähnlicher Beitrag um einiges einprägsamer war: die Liveinstallation „Landfall“ von Christian Sievers. Im großen Raum 6 waren Besucher ermuntert, sich filmen und zeitgleich projizieren zu lassen – nicht bloß zum Spaß, sondern für Illustration wie auch Reflexion über digitale Erfassung. Neuntausend Einstellungen hat das Netzwerk gespeichert, mit denen es den Mitspieler abgleicht. Auch solch ein interaktiver Programmpunkt, gekoppelt mit einem moderierten Diskurs am Freitag, gehört fest zu blicke. Auch er war entspannt zu erwandern, auch er dabei fraglos brisant und zeitrelevant.

Martin Hagemeyer

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