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Dr. Zübeyde Duyar (Arbeitskreis – Asyl Bielefeld) im Plenum
Foto: Carolin Hesidenz

Dagegen mit Konzept

17. Juni 2014

Tagung gegen Rechtsextremismus fand am 14.6. im Bahnhof Langendreer statt

Ein hoher Zuwachs rechtpopulistischer Parteien im Europaparlament, Demos gegen Flüchtlingsunterkünfte oder Neonaziangriffe auf Wahllokale wie am 25.5. im Dortmunder Rathaus, sind Beispiele für eine gefährliche Trendwende zu recktskonservativen, populistischen bis hin zu rechtsextremen Haltungen. Woher kommt dies und welche Möglichkeiten haben die Bürger im Umgang mit der Bedrohung? Was tun, wenn es nicht mehr ausreicht „nur dagegen“ zu sein? Diese und ähnliche Fragen beleuchtete die Workshoptagung „Dagegen! Und dann?!“, die in Kooperation mit der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus NRW“, wertvolle Aufklärungsarbeit leistete und verschiedene Initiativen gegen Rechts vorstellte. Das Wiedererstarken rechtspopulistischer und rassistischer Strömungen aus der Mitte der Gesellschaft wird auch im Thementeil der aktuellen trailer-Juniausgabe unter dem Titel RECHTSDREHUNG besprochen.

Die Tagung startete unter dem Slogan „Zwischen Willkommenskultur, Selbstbehauptung und Protest“. Den Anfang machte Alexandra Graevskaia (Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)). Unter dem Stichwort „Antiziganismus“, die auf „Zigeuner“ bezogene Analogie zum „Antisemitismus“, leitete sie die Tagung mit einem Vortrag zur aktuellen „Flüchtlingsdebatte“ ein. Insbesondere wurde hier der massenmedial geführte „Nützlichkeitsdiskurs“ um Schlagzeilen kritisiert. Als Beispiel diente u. a. die heute.de-Schlagzeile „Es kommen nicht nur Roma, sondern auch Akademiker“. Hier konnten mediale Mechanismen aufgezeigt werden, die bewusst Unterschiede zwischen Ethnien als naturgegeben zu konstruieren versuchen.

Im Anschluss folgte der Vortrag „Europäisches Asylsystem“ von Dr. Zübeyde Duyar (Arbeitskreis-Asyl Bielefeld). Sie deckte die Uneinheitlichkeit in den Asylrechten der EU auf, welche auf „egoistischen Interessen einzelner Staaten“ fuße. Nach der Mittagspause war das Thema auch Schwerpunkt des von Duyar geleiteten Workshops „Geflohen, aber nicht am Ziel“. Der von der Gesetzgebung ausgehende strukturelle Rassismus, der sich institutionell begründet und nicht von bewusst rassistischen Akteuren in diesen Institutionen ausgeht, wurde anhand des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) näher unter die Lupe genommen. Dieses Gesetz zwingt Betroffene durch die „Residenzpflicht“ dazu, einen zugewiesenen Wohnsitz nicht zu verlassen. Kontakte zu Flüchtlingsberatungen oder bürgerlichen Initiativen, die außerhalb des zugewiesenen Bereiches liegen, werden so erschwert.

Der strukturelle Rassismus war auch Thema im Workshop „Kreativ, solidarisch, antirassistisch!“ mit Iris Biesewinkel (Flüchtlingsplenum Aachen), in dem es um Medien als „geistige Brandstifter“ und verschiedene Facetten von Rassismus ging. Neben behördlichen „Schreibtischtätern“, ging es auch um die wichtige Dokumentation von rechts-motivierten Übergriffen. Frei nach dem Sprichwort „Keine Zukunft ohne Erinnerung“ soll so Prävention geleistet werden. Eine wichtige Aufgabe. Dies zeigt, dass auch Menschen aus anderen Herkunftsländern, die seit Jahren in Deutschland leben, durch die neue Rechtsdrehung, z. B. durch polizeiliches „racial profiling“ oder Stammtischparolen, diskriminiert werden.

Struktureller Rassismus scheint allgegenwärtig und kann nur durch eine gleichwertige Gegenaktivität bekämpft werden. Doch auch in der Nachbarschaft können sich Rassisten organisieren. Beispiele dafür lieferte der Workshop "...aber nicht bei uns!", mit Michael Sturm und Hendrik Puls (Mobile Beratung NRW). Unter dem Stichwort Anwohnerproteste wurde über rechte Organisationen gegen Flüchtlingswohnheime informiert. Hier zeugten Beispiele aus Duisburg, Stolberg oder Augsburg von einem „Rassismus der Unbelehrbaren“. Nebenbei wurden hier auch verschiedene Bürgerinitiativen gegen rechte Gewalt, z. B. der „Flüchtlingsrat NRW“ oder das Bündnis „Kein Meter den Nazis“, vorgestellt.

Mobilisierung und Vernetzung

Neben verschiedenen Konzepten des Anti-Rechts-Kampfes, boten die Workshops die nötige Orientierung und Sensibilisierung. Exemplarisch dafür ist die ehrenamtliche Arbeit von Gordana Herold („Romane Romnja“). In ihrem Workshop skizzierte die Kölnerin mit „Romnja“-Herkunft die Migrationshistorie der Roma und veranschaulichte die erschwerten Bedingungen für Romafrauen auf Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie im Gesundheits- und Bildungswesen. Mit dem „AGORA-Netzwerk für Sinti und Romafrauen in Deutschland“ und mehreren Kampagnen, verfolgt sie seit vier Jahren das Ziel „Romafrauen in eine produktive Rolle, abseits rassistischer Klischees zu verhelfen". Aus diesem Grund versucht sie Politiker, Juristen, Betroffene und Außenstehende zu vernetzen. Gordana Herolds Arbeit zeigt, dass Aufklärung und Bildung sowie Fallbeispiele und persönlicher Kontakt die Eckpfeiler zur Verbesserung der Verhältnisse bilden. Ebenso wichtig sind Mobilisierung und Vernetzung.

Nach einer letzten Kaffeepause folgte das Abschlussplenum. Hier wurden die einzelnen Initiativen und Workshopergebnisse zusammengefasst. Das Plenum bot auch Platz für Diskussionen, doch neben diversen Fragen zu Konzepten und Arbeitserfolgen der Gäste, herrschte über die Ernsthaftigkeit der Situation Konsens. Unter der Fragestellung „Was nützen Bündnisse?“ wurden weiterhin beeindruckende Ergebnisse vorgestellt. Egal ob es um die persönliche Begleitung von Flüchtlingen zu Behördengängen, die Entlarvung menschenverachtender Arbeitszustände für ungarische Wanderarbeitet oder die Übersetzung von Asylformularen ging: Die Möglichkeiten der Intervention sind vielfältig, sofern man sich im Vorfeld organisiert und Offenheit gegenüber Betroffenen vorhanden ist. Als Kultur der Offenheit und Akzeptanz, soll sich auch die „Willkommenskultur“ nun weiter etablieren. Leider mangele es oft an Sponsoren aus Politik und Wirtschaft, die die Lobby gegen Rechts maßgeblich verstärken könnten, so eines der Ergebnisse des Abschlussplenums.

Rückblickend bot „Dagegen! Und dann?!“ spannende Einblicke in die Arbeit verschiedener Initiativen. Dargeboten wurden teils schockierende Informationen und Einzelschicksale, doch auch herzerwärmende Erfolgsgeschichten und Wege, selbst aktiv zu werden. Der neue Rechtstrend sorgt jedoch für ein gesellschaftliches Klima, das der „Willkommenskultur“ im Weg steht.

Kevin Vitt

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