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Bunt statt Braun ist die Devise beim Vorgehen gegen Rechts
Foto: Laura Schleder

„Eine Abstimmung findet im Buchladen statt“

28. Mai 2014

Eberhard Seidel über rechtspopulistische Entwicklungen – Thema 06/14 Rechtsdrehung

trailer: Herr Seidel, sind rechtsextreme Positionen für die Medien salonfähig geworden?
Eberhard Seidel
: In den letzten Jahren haben sich rechtspopulistische Positionen nicht in Parteien sondern vor allem in der Publizistik formieren können. Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ und auch sein neues Werk hat unglaubliche Verkaufszahlen. Da es in Deutschland eine rechtspopulistische Partei im Gegensatz zu Frankreich, Österreich, Dänemark oder der Schweiz sehr schwer hat, findet hier eine Abstimmung eher im Buchladen statt. Ich vermute, dass die wenigsten Menschen, die ein Buch von Sarrazin kauften, es auch lasen. Sie stimmen mit seinen rassistischen Positionen überein und wollen dies mit dem Kauf seiner Bücher dokumentieren.

Sie glauben, dass Sarrazin größtenteils gar nicht gelesen wird?

Eberhard Seidel
Foto: Metin Yilmaz
Eberhard Seidel (58) ist Geschäftsführer der Europäischen Jugendinitiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.

„Deutschland schafft sich ab“ ist mittlerweile etwa 1,5 Millionen Mal verkauft worden. Das Buch ist ja schwere Kost und beinhaltet viele vermeintlich seriöse Statistiken, die Sarrazin dort aufbereitet. Solch ein Buch wird nicht von einem Massenpublikum gelesen.

Sarrazin ist aber kein Einzelfall?
Nein, aktuell ist ja das Buch „Deutschland von Sinnen“ von Akif Pirinçci erschienen. Zuvor war der Autor eher durch Katzenbücher in Erscheinung getreten und provoziert nun mit beleidigenden, zum Teil rechtsextremen, zum Teil chauvinistischen Positionen.

Rechte Parteien haben es in Deutschland aber schwer.
Die beste Möglichkeit, seine Karriere zu versauen, ist hierzulande, in eine rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Partei einzutreten. Es gibt noch den gesellschaftlichen Konsens, dass man das nicht tun darf. Das hat mit der Geschichte von Deutschland zu tun. Das muss nicht unbedingt so bleiben. Im Moment aber sind rechtspopulistische Parteien hier nicht salonfähig.

Sollte man Sarrazin, Pirinçci und andere eher ignorieren oder in Talkshows mit ihnen diskutieren?
Ich finde, dass diese Positionen viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen. In seinem letzten Buch behauptet Sarrazin, dass in unserem Land eine Tyrannei des politisch Korrekten besteht. Auch Pirinçci vertritt diese These. Deren Bücher aber verkaufen sich am besten.

Gibt es bei den Rechten Verbindungen zwischen Nadelstreifen und Springerstiefeln?
Es gibt diese Verbindungen. Die Bürgerbewegung Pro Köln ist als Ableger der rechtsextremen Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) gegründet worden. In ihr spielen wichtige ehemalige NPD-Mitglieder eine wichtige Rolle. Die NPD selbst ist ein Sammelbecken für Nadelstreifen- und Springerstiefelträger. Inzwischen überwiegt dort die etwas schmuddeligere Gruppe der Kameradschaften. Die Verbindung aber läuft überwiegend nicht im direkten Kontakt. Die rassistisch gefärbten Diskussionen über Islam, über Sinti und Roma, die auch in der politischen Mitte geführt werden, ermutigen militante Rechte, gewalttätig vorzugehen. Diesen Mechanismus konnte man besonders gut in den 1990er Jahren in Deutschland beobachten. Ohne den Rassismus in der politischen Mitte hätte es rechtsextreme Gewalt auf der Straße nicht gegeben. Hier ist die Politik in den letzten 20 Jahren aber vorsichtiger und zurückhaltender geworden. Das ist erfreulich.

Fällt es in Zeiten der Großen Koalition der CDU/CSU nicht schwerer, den rechten Rand der Gesellschaft an sich zu binden?
Diese Gefahr besteht. Bei der AfD ist es noch nicht klar, ob sie künftig eine Super-FDP wird, also eine neoliberale Partei, oder aber verstärkt rechtspopulistische, christlich-fundamentale und radikal evangelikale oder andere antimoderne, chauvinistische Positionen vertritt. Durch die sozialdemokratische Politik von Angela Merkel wartet man die ganze Zeit darauf, dass sich rechts der CDU eine Kraft formiert, die auch für die politische Mitte attraktiv ist. Die AfD kann diese Kraft werden.

Was kann man gegen rechts machen? Hilft es, Flugblätter zu verteilen?
Nein, für die Bekämpfung des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist ein ganzes Bündel von Initiativen und Maßnahmen notwendig. Besonders die inhaltliche Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Positionen ist wichtig. Wir müssen uns natürlich auch fragen, warum Menschen für Parolen von Rechtsaußen empfänglich sind. Warum denken viele Menschen, dass sie von der Europäischen Union bevormundet werden? Es muss zum Beispiel besser vermittelt werden, welche Vorteile die Menschen von der Europäischen Union haben.

Ist die Antifa, die ja manchmal ähnliches Schuhwerk trägt wie militante Nazis, ein probates Mittel gegen rechts?
Auch die NPD hat ein Recht auf Meinungsfreiheit. Die Polizei muss also auch die NPD vor Angriffen von militanten Antifaschisten schützen. Wenn aber Antifaschisten gegen Naziaufmärsche mobilisieren und breite bürgerliche Kreise an dem Protest beteiligen und so Nazi-Demos durch Blockaden verhindert werden, halte ich das für ein legitimes Mittel des gesellschaftlichen Widerstands gegen volksverhetzende Parolen. Allerdings halte ich das Gewaltmonopol des Staates für ein hohes Gut und eine generelle Selbstermächtigung antifaschistischer Kreise ist problematisch. Andererseits hat die Geschichte der Bundesrepublik in den letzten 25 Jahren gezeigt, dass der Staat auch oft vor rechtsextremer Gewalt zurückgewichen ist und es so zu einem Machtvakuum gekommen ist, dass zur Folge hatte, dass Opfer rechter Gewalt ermordet wurden. In dieser Situation konnte antifaschistischer Widerstand dieses Machtvakuum manchmal auffüllen und weitere Straftaten verhindern.

Woran liegt diese Kumpanei zwischen Behörden und Nazis? Die alten Nazis unter Roben und Uniformen sind doch längst nicht mehr im Dienst.
Die Staatsanwälte, die jetzt in Rente gehen, sind 1950 geboren. Insofern gibt es mittlerweile keine personelle Kontinuität mehr zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik. Bei den Behörden gibt es aber, und das zeigten die Erkenntnisse im Rahmen des NSU-Untersuchungsausschusses, ein Defizit in der Wahrnehmung rassistischer Straftaten.

Der Gedanke „Alle Rechtsgelehrten sind Rechte“ trifft nicht zu?
Es heißt immer, der Polizeiapparat sei ein Querschnitt der Gesellschaft. Das stimmt so nur bedingt. Es kommen eher Menschen zur Polizei, die einer gewissen Ideologie anhängen, Menschen, denen es besonders wichtig ist, Recht und Ordnung durchzusetzen, die vielleicht auch ein eher autoritäres Verständnis von Gesellschaft haben. Ich will das nicht verallgemeinern, aber es gibt einige Polizisten, die die Entwicklung dieser Gesellschaft zur Einwanderungsgesellschaft noch nicht begriffen haben. Auch in der Richterschaft gibt es rechtskonservative Tendenzen, die Rassismus nicht sehen wollen. Und es ist ja bekannt, dass Jurastudenten, die dann die späteren Staatsanwälte und Richter stellen, überproportional häufig in ultranationalistischen bis hin zu rechtsextrem orientierten Burschenschaften organisiert sind.

Interview: LUTZ DEBUS

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