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Nomadland

Nomadland
USA 2020, Laufzeit: 108 Min., FSK 0
Regie: Chloé Zhao
Darsteller: Frances McDormand, David Strathairn, Linda May

Semidokumentarisches Aussteigerdrama

Der Traum von Freiheit
Nomadland“ von Chloé Zhao

Ihr Mann ist schon vor einiger Zeit gestorben, nun ist auch die gesamte Stadt tot, in der Fern wohnt. Denn nach der Pleite des ansässigen Bergbaubetriebs ist auch das kleine Bergbaustädtchen Empire am Ende. Kurzerhand packt Fern ihre wenigen Sachen und macht sich in ihrem Van auf und davon. In ihrem Fall heißt das: Über den Jahreswechsel jobbt sie mal hier, mal dort und übertritt dabei zahlreiche Grenzen der Bundesstaaten. Bei einem ihrer Jobs lernt sie Linda kennen, die ihr von den jährlichen Treffen Gleichgesinnter in der Wüste Nevadas erzählt. Dort kommen viele andere Aussteiger mit einem ähnlichen Lebenswandel, aber jeweils ganz eigenen Geschichten zusammen. Manche haben in der Finanzkrise ihre Arbeit und schließlich ihre Häuser verloren, andere geliebte Familienmitglieder, deren Tod sie aus der Bahn geworfen hat. Und einige genießen einfach als Reisende ihr Rentnerdasein.

Nicht nur die Filmszenen in Nevada haben dokumentarischen Charakter. Der heute 65-jährige Bill Wells hat die tatsächlich stattfindenden jährlichen Treffen in Nevada ins Leben gerufen. 2015 gründete er einen Youtube-Kanal mit DIY-Tipps für das Leben im Van, das sogenannte Vandwelling. Wells kommt in dem 2017 erschienenen Sachbuch „Nomaden der Arbeit“ („Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century“) von Jessica Bruder an prominenter Stelle vor. Das Buch diente „Nomadland“-Regisseurin Cloé Zhao als Vorlage für ihren Film, der eine Gratwanderung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm ist. Die meisten der Darsteller sind Laien, die sich selber spielen und bereits in der Buchvorlage zu Wort kamen, nur die Hauptfigur Fern ist fiktional. Frances McDormand, die zuletzt mit der bitterbösen Tragikomödie „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ einen großen Erfolg feierte und für ihre Darstellung einen Oscar erhielt, spielt hier scheinbar gleichmütig die bedingt freiwillig einsame Fern, deren emotionale Tiefe man vor allem an wenigen Regungen im Gesicht ablesen muss. Den Schwierigkeiten dieses Lebens, die wir detailliert zu sehen bekommen, setzt der Film die Freiheiten dieses mal mehr, mal weniger frei gewählten Lebens entgegen.

Zum einen sind da die niederen Arbeiten, mit denen sich Fern abgeben muss, um das nötige Kleingeld zu verdienen: Mal ist es ein riesiges Lager von Amazon, mal ein Campingplatz in einem Nationalpark, in dem sie unter anderem die Toiletten schrubbt. Und dann steht sie ganz klassisch am Herd eines Fast-Food-Restaurants. Wenn es friert, wird es auch in Ferns Van spürbar ungemütlich, und mitunter wird sie von einem Parkplatz vertrieben. Und wenn das Fahrzeug kaputt ist, ist zugleich das Fortbewegungsmittel wie auch die Wohnung gefährdet. Andererseits ist da diese Freiheit, die man wohl nur schwer beschreiben kann. Daher versucht der Film vor allem in ruhigen, stummen Einstellungen der Weite, aber auch der Gesichter, der Blicke, diese Freiheit (und die unverbindliche Gemeinschaft der Gleichgesinnten) zu erkunden. Das hat dann eine deutliche Nähe zum Western, die Regisseurin Zhao bereits mit dem Vorgänger „The Rider“ gesucht hatte, über einen Rodeoreiter, der nach einem Unfall nicht mehr reiten kann.      

So muss man sich die Protagonisten ihres neuen Films auch als Cowboys oder Trapper vorstellen. Anders als bei klassischer Obdachlosigkeit in der Großstadt fühlen sich die Vandweller autark und genießen das Reisen durch die Weiten der USA. Dabei berufen sie sich auf eine amerikanische Tradition, die von den ersten Europäern auf dem Kontinent bis zu den rüstigen Rentnern der Gegenwart reicht, die mit ihrem Ersparten fette Luxusliner erwerben und das Land bereisen, wie man es zum Beispiel aus Alexander Paynes „About Schmid“ kennt. Dass Chloé Zhao auf einen sehr dokumentarischen Tonfall setzt, bei dem tatsächlich meist nicht genau zu ermitteln ist, was gerade inszeniert, was improvisiert und was dokumentarisch ist, verleiht dem für sechs Oscars nominierten Film, der in drei Kategorien gewann, eine große Spannung und eine sehr tiefe Wahrhaftigkeit.

Oscar 2021: Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin

(Christian Meyer-Pröpstl)

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