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Mit trockenem Humor erklärt Papaioannou seine Sicht der Dinge
Foto: Rika Talsinn

„Wir produzieren Krisen, wo es keine gibt“

14. Februar 2015

Skevos Papaioannou im Bahnhof Langendreer über Griechenland nach den Wahlen

Am 25. Januar machte Griechenland seine Ablehnung gegenüber der Sparpolitik amtlich. Mit überraschender Mehrheit ging die linksradikale Partei SYRIZA als Sieger aus den Parlamentswahlen hervor und verfehlte dabei nur knapp die absolute Mehrheit im Parlament. Ein Wendepunkt für Griechenland und Europa – und alle schauen gebannt auf Alexis Tsipras, denn an ihm liegt es nun, seinem Land aus der Krise zu helfen.

Wie es zu diesem Wahlergebnis kommen konnte und was genau es bedeutet, ist vielen noch nicht klar. Aus diesem Grund organisierten der Bahnhof Langendreer, Occupy Bochum, Attac Bochum und der Rosa-Luxemburg-Club Bochum sehr kurzfristig den Vortrag von Skevos Papaioannou, der am 12. Februar nach Bochum kam, um seinen Blick auf die aktuelle Situation und ihre Bedeutung zu schildern. Papaioannou ist Professor der Soziologie an der Universität Kreta und arbeitet momentan an der Universität Kassel. Er ist bei SYRIZA organisiert und kandidierte 2012 für die Partei. Dementsprechend fällt auch seine Nachricht an die zahlreich erschienenen Zuschauer aus: Tsipras und SYRIZA haben den richtigen Weg eingeschlagen, Griechenland wiederaufzubauen. Mittelpunkt seines Vortrags ist die Krise, ein Wort, das er offenbar oft genug gehört hat.

Die Krise ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel

Um den Ausgang der Wahlen im Januar zu erklären, reist Papaioannou in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg zurück; dort begann für Griechenland der wirtschaftliche Abstieg durch Ausplünderung, Bürgerkrieg und die Diktatur bis in die Siebzigerjahre. Ebenso gab es in Griechenland kaum Bemühungen, die Wirtschaft zu stützen. Papaioannou betont mehrmals, dass die aktuelle Krise kein Ausnahmezustand sei, sondern die Regel. Und dass sie nicht nur Griechenland betreffe, sondern ganz Europa, wenn nicht sogar die ganze Welt, in der dem Kapitalismus inzwischen mehr Wert beigemessen werde als der Gesellschaft und dem menschlichen Leben.

Papaioannou spricht als Grieche für Griechenland. Er selbst bezeichnet seinen Vortrag als „Plädoyer für die Hoffnung“, und wie ein Staatsanwalt klingt er auch. Denn er scheint sich hineinzusteigern in die Position des Verteidigers und rechtfertigt die Stimmung und Geschehnisse in seiner Heimat, während er sich klar von der Troika und den Weisungen von „oben“ distanziert. Seit Jahren höre Griechenland von Angela Merkel nur, die Reformen müssten durchgezogen werden, es gebe keine Alternativen. Skevos Papaioannou widerspricht: „Es gibt eintausend Alternativen.“ Dass SYRIZA die Wahlen so deutlich für sich entscheiden konnte, liegt laut Papaioannou an der katastrophalen Politik der Vorgängerregierung, welche Griechenland in schreckliche Zustände getrieben hat. Das Land hat Staatsschulden, und ausbaden müssen es die Bürger. In den letzten Jahren wurden Gehälter und Renten gekürzt, die Unterstützung von Schulen und Krankenhäusern drastisch eingeschränkt und Arbeitsplätze gestrichen. Die Arbeitslosenrate liegt aktuell bei knapp 26 Prozent; die Selbstmordrate ist seit 2008 um mehr als 50 Prozent gestiegen. Am meisten leiden Mittel- und Unterschicht unter der Sparpolitik, und das, obwohl es sich um Staatsschulden handele, so Papaioannou. „Es sind Staatsschulden; wieso Privatgehälter senken?“

Krisen müssen nicht schlecht sein

Das Leben ist voller Krisen. So sieht es Papaioannou. Wichtig ist die Erkenntnis, wann eine Krise gefährlich ist und wann sie als Chance gesehen werden kann. Denn an einer Krise Kritik zu üben und damit gegen sie vorzugehen, kann zu einer erfolgreichen Zukunft verhelfen. Krise bedeutet im Griechischen auch die Fähigkeit des Menschen, sie zu bewältigen, und hat daher gar nicht unbedingt einen so bitteren Beigeschmack. Kurzum: Krisen werden dramatisiert. „Wir sprechen nur von Krise, da Krise, dort Krise. Wir produzieren Krisen, wo es keine gibt.“ Eine Krise gehe zudem mit Hoffnung einher. Sich in einer Krise große Ziele zu setzen, optimistisch nach vorn zu schauen, kann laut Papaioannou in eine „konkrete Utopie“ führen, also eine bessere Zukunft, die womöglich noch gar nicht erreichbar scheint. Diese Utopie müsse das Ziel für Griechenland sein.

Skevos Papaioannou und Veranstalter Uwe Vorberg, Foto: Rika Talsinn

SYRIZA versprach eine radikale Änderung und vor allem das Ende der Sparpolitik, welche viele Menschen Arbeit und Heimat oder sogar das Leben gekostet habe. Griechenland erhofft sich dadurch das Ende des Kapitalismus oder zumindest einen Schritt in diese Richtung. Ein schlechtes Wort über SYRIZA verliert Papaioannou nicht, auch durchleuchtet er die Partei nicht kritisch; verständlich, als Mitglied. Seine parteiische Haltung und der Frust über Griechenland und Europa in den letzten Jahren beeinflussen seinen Vortrag deshalb stark, und so lobt er am meisten den Regierungswechsel und setzt seine Hoffnungen in SYRIZA. Beinahe wirkt es wie eine Belehrung für Deutschland, aus der Vergangenheit zu lernen und Griechenland seinen Weg gehen zu lassen. Damit hat Papaioannou nicht unrecht, fixiert sich jedoch auf seine eigene Sichtweise. „Deutschland zeigt mit dem Finger auf Griechenland“, so Papaioannou. Dabei müsse es „ein Europa der Gleichheit, der Solidarität und Demokratie“ geben. Zuvor war alles falsch. Und mit SYRIZA wird es nun besser? Die Chance, eben dies zu beweisen, hat Tsipras nun. Was er daraus macht, wird sich zeigen.

Rika Talsinn

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