Elf Jahre Arbeit, über drei Millionen Euro Kosten und 14.726 Versprechen – am Freitag wurde der „Platz des europäischen Versprechens“ endlich eingeweiht und der Vorplatz der Christuskirche erstrahlte in tiefem Blau. Auf 21 Steinplatten sind die Namen von Menschen aus 1300 Städten eingraviert, jeder von Ihnen hat ein stummes Versprechen für seinen, unseren Kontinent abgegeben.
Die Idee zu diesem Kunstwerk im öffentlichen Raum hatte Künstler Jochen Gerz, unter anderem bekannt für sein Mahnmal gegen den Faschismus in Hamburg. Neben dem Künstler selbst waren auch Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Peter Friese, Direktor des Neuen Museums Weserburg in Bremen, und Jerzy Marganski, Botschafter der Republik Polen, zugegen.
Peter Friese nutzte die Gelegenheit am Rednerpult, den Bochumer Bürgern die Bedeutung des – vor allem wegen seiner hohen Kosten – umstrittenen Kunstwerks näher zu bringen: „Nur autonome Kunst kann politische Kunst sein“, sagte er. Das Besondere an bedeutungsoffenen Kunstwerken, wie denen von Joachim Gerz sei, dass sie den Betrachter in seinem freien Denken ernst nehmen, ihn in keine vorgegebene Richtung drängen wollen. Wer welches Versprechen abgegeben hat, das bleibt im Dunkeln, nur die Namen zeugen davon. Was würde ich selber Europa versprechen? Welches Versprechen braucht das Europa unserer Tage? All diese Fragen sind Teil der ästhetischen Erfahrung, die der Betrachter des Platzes erleben kann – wenn er sich darauf einlässt.
Ein bescheidenes Kunstwerk, kein prunkvoller Prestige-Bau, sondern eine zurückhaltende Aufforderung zum Nachdenken – so stellt sich auch Künstler Jochen Gerz den Platz vor, der, wie er auf der Rednerbühne sagte, frei von Pathos seien soll.
Pathos ist mit Sicherheit auch nicht das, was Europa nun braucht, sondern eine lebendige Streitkultur. Zum Beispiel zur Frage des Umgangs mit Russland. Oder bezüglich des Flüchtlingsstroms. Auch dafür gab es Gelegenheit bei der Eröffnung des Platzes. Im Anschluss an die Feierlichkeiten diskutierten Norbert Lammert und der polnische Botschafter Jerzy Marganski in der Christuskirche. Das große Streitthema: europäische Solidarität. Für Margansky bedeutet das: gemeinsame Sicherung der Außengrenzen. Für Lammert: eine faire Verteilung der Geflüchteten über die EU-Mitgliedsstaaten. Ein schönes Beispiel dafür, dass Europa nicht bedeuten muss, immer einer Meinung zu sein. Es darf auch gestritten werden – und wo wäre das nicht angebrachter, als am frisch eingeweihten Platz des europäischen Versprechens? Das Streitgespräch zwischen Lammert und Margansky ist deshalb auch nur das erste einer geplanten Dialogreihe zum Thema Europa.
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