Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, lautet ein viel zitiertes Sprichwort. Und wer an der Komplexität des dazustellenden Sachverhaltes scheitert, greift auf Allegorien, Gleichnisse, Metaphern zurück. Die rhetorische Schatzkiste der Tropen ist nicht nur Folterwerkzeug für wissbegierige Schüler, sie bietet auch wahre Reichtümer für jedes (pseudo-)intellektuelle Muskelspiel. Oder aber sie erfüllt ihren Zweck und hinterlässt ein Gefühl, eine Ahnung über ein bestimmtes Thema. Das Kino, der Meister der Bilder im doppelten Sinne, vermag mit einer einzigen Bildeinstellung mehr auszudrücken als ein ganzer Roman. Es schafft Bilder für die Ewigkeit. Humphrey Bogart und Ingrid Bergman, Audrey Hepburn und George Peppard im strömenden Regen rufen im Romantikerherz sogleich Gefühle hervor, die auszudrücken ein ganzes Candle-Light-Dinner verderben würde. Etwas schwülstiger Pathos wie das geschleuderte Schwert im Film „Braveheart“ lässt das Herz des Sofa-Heroen überfließen. Dagegen erfüllt die Einstellung vom roten Mädchen in „Schindlers Liste“ mit tiefer Traurigkeit und vielleicht auch gerechtem Zorn.
Wie der Film mit einem einzigen Bild ein ganz bestimmtes Gefühl evoziert, so versucht er auch, über seine gesamte Länge mit der ganzen Bandbreite stilistischer Mittel ein Gefühl für einen bestimmten Stoff aufzubauen. Und das bei besonders vielschichtigen Angelegenheiten eindrücklicher als der unverstandene Philosoph mit seiner strengen Gedankenführung. Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi“ überrollte 1982 die Zuschauer mit einer regelrechten Bilderflut. Bildsequenzen in Zeitlupe und -raffer prägten sich zusammen mit der minimalistischen Musik von Philip Glass nachhaltig ein und ergaben assoziativ eine Gesamtaufnahme des Verhältnisses von Mensch und Natur. Ästhet Terrence Malick machte sich vor drei Jahren mit „The Tree of Life“ gleich ans Überthema schlechthin, dem Ursprung und der Entstehung des Universums, eingeleitet vom Hiobsvers: „Wo warst du, als ich die Erde gründete?… Als mich die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Gottessöhne?“ Mit einer 20-minütigen Sequenz aus wabernden Bildern lässt Malick das Universum entstehen, um mit den nächsten eineinhalb Stunden einer ungradlinigen Erzählstruktur die Zuschauer verwirrt und doch um Aspekte bereichert zurückzulassen. Auch „River of Fundament“ von Matthew Barney und Jonathan Bepler schlägt in diese Scharte. Im Rahmen der Ruhrtriennale verlangt er am 31. August in der Lichtburg Essen dem geneigten Rezipienten Sitzfleisch für sechs Stunden ab. „River of Fundament“ vereint Film, Performance, Skulpturen, Zeichnungen und Konzert. Das Kunstwerk führt durch Ägypten und nach Detroit, folgt der Erzählung und fängt den Moment ein, inszeniert wuchtige Bilder und kleines Kammerspiel. Über all dem schwebt die Idee von Tod, Wiedergeburt, Transformation und Transzendenz. Ambitioniert, sogar überambitioniert? Womöglich. Und „River of Fundament“ kann mit all den Allegorien auch nur ein zaghaftes Annähern, ein leises Umschleichen großer Ideen sein, ähnlich den Abbildungen der Ideenlehre Platons. Aber allein die vermittelte Ahnung kann es schon wert sein. Ob Abbildung großer Ideen oder Bild starker Gefühle, Film und Kino sind kein bloßes Lichtspiel auf großer Leinwand.
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