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„Das U verleiht der Stadt ein neues Bild“
Foto: Francis Lauenau

„Ich musste Kino erst lernen“

28. September 2012

Adolf Winkelmann über seinen Weg als Filmemacher und Turmbeleuchter – Über Tage 10/12

trailer: Herr Winkelmann, muss man aus Dortmund kommen, um so ein verrückter Hund zu sein?
Adolf Winkelmann:
Das glaub’ ich nicht. Das Ruhrgebiet ist nicht der richtige Ort für Kreative, Künstler oder, wie Sie sagen, Verrückte.

Adolf Winkelmann 10/12
Foto: Winkelmann Filmproduktion GmbH
Adolf Winkelmann (66) ist Filmregisseur, Filmproduzent, Professor für Filmdesign an der Fachhochschule Dortmund und schuf die Videoinstallationen am Dortmunder U.

Aber wie war das früher, so als kleiner Bub in der großen Stadt?
Meine Eltern sind ja während des Krieges aus Dortmund abgehauen ins Sauerland. Da bin ich zur Welt gekommen. Später haben wir in einer kleinen Mansardenwohnung in der Nähe des Dortmunder Klinikums gewohnt. Mein Vater schaffte es dann Anfang der 50er Jahre, eine Neubauwohnung im Dortmunder Norden zu bekommen. Später sind wir in die Rheinische Straße gezogen. Von meinem Kinderzimmerfenster dort konnte ich diesen seltsamen Turm sehen, damals noch ohne leuchtendes U und deshalb auch nicht U-Turm genannt. Es war das Gär- und Kellerhochhaus der Union-Brauerei. Schon damals habe ich mich gefragt, wieso Menschen solche Häuser bauen. Eigentlich aber hat mich das Gebäude nur geärgert. Die Brauerei stank und verlängerte meinen Schulweg. Nur zur Adventszeit standen Lichterbäume auf dem Turm, und die sagten mir „Vorfreude!“.

Die sagten Ihnen: „In ein paar Jahrzehnten wirst du da andere Lichter drauf montieren“?
Dass ich als alter Kerl da irgendwann mal Licht installieren lasse, hab ich mir damals noch nicht träumen lassen. Der Architekt des Gebäudes hat aber schon in den 20er Jahren gewusst, dass sich das Gebäude für Lichtkunst eignet. Ich musste vor ein paar Jahren einen Ort für die Steuerelektronik der LED-Wände finden und bin auf dem Dach des U umhergelaufen. Da fand ich alte Elektrokabel und Befestigungsschrauben. Das weckte meine Neugier, mehr über den Turm zu erfahren. Um das Dach herum befinden sich Betonstützen. Als Kind dachte ich schon: Haben die zu viel Beton angerührt, nicht gewusst wohin damit und deshalb den Turm noch ein bisschen weiter in den Himmel gebaut? Als ich dann auf dem Dach war, entdeckte ich, dass die Stützen zur straßenabgewandten Seite hohl waren. Da wurde mir klar, dass da Scheinwerfer drin gewesen sein mussten, die auf das Dach leuchteten. Wenn es dunkel war, sah das Dach aus wie ein leuchtender Juwel in einer schwarzen Fassung. In New York wurden Gebäude wie das Empire State Building ähnlich beleuchtet, allerdings erst 1931. Der Architekt des Turms Emil Moog wollte eben nicht nur eine Werbetafel auf dem höchsten Gebäude der Region anbringen, sondern machte eine Lichtplastik daraus, die an sich schon ein Zeichen für diese Brauerei sein sollte.

Das U kam später?
Das erste U kam 1968. Da war ich ja gar nicht mehr in Dortmund. Da studierte ich schon in Kassel.

Endlich kommen Sie wieder zu sich. Ich will doch wissen, wie es mit den verrückten Filmen begann. Sie waren in Dortmund ein braver Kerl und man hat Ihnen erst in Kassel den Kopf verdreht?
Ich wollte eigentlich immer Musiker werden. Damals machte man Beat, Jazz, Skiffle, letztlich Tanzmusik. Im Haus Göbbeln an der Schützenstraße spielten wir jedes Wochenende bis tief in die Nacht, auch an dem Sonntag vor dem schriftlichen Abitur. Ich habe Gitarre, Banjo und Saxophon gespielt. Aus einer echten Musikerkarriere ist aber nichts geworden.

Wie sind Sie dann zum Film gekommen?
Mein Vater hat mir, als ich 13 Jahre alt war, eine Doppel-8-Kamera geschenkt. Am Gymnasium gab es eine Wandergruppe, mit der ich immer ins Zeltlager ins Emsland gefahren bin. Mein Turnlehrer hat diese Gruppe geleitet und der war irgendwie schwer technikverrückt. Der hatte sich damals das erste tragbare Tonbandgerät gekauft und spielte uns am Lagerfeuer damit Geschichten ab, die er im Winter auf Band gesprochen hatte. Der gab mir zu Beginn des Zeltlagers ein paar Rollen Film mit dem Auftrag, das Leben dort zu dokumentieren. Ich habe dann jedes Jahr immer den gleichen Film gedreht. Der hieß „Pfingstlager 1960“ und ein Jahr später „Pfingstlager 1961“ und war stets in drei Segmente aufgeteilt: Lageraufbau, Lagerleben und Lagerabbau. Dadurch, dass ich im Prinzip immer den gleichen Film drehte, lernte ich viel. Wenn das Pferdefuhrwerk mit den Zeltstangen den Weg herunterkam, probierte ich immer eine andere Perspektive als im Jahr zuvor.

Der Feinschliff erfolgte dann aber doch eher an der Kunsthochschule?
Noch während des Studiums in Kassel habe ich meinen ersten Experimentalfilm gemacht. Der hieß Adolf Winkelmann, Kassel, 9.12.67 11.54h. Ich habe mir eine Kamera vor den Bauch geschnallt und bin durch Kassel gegangen. Haben Sie von dem Film noch nie was gehört? Ist doch mein bekanntestes Werk. Man ist ja nie mehr so gut wie bei seinem ersten Film. (lacht)

Und was haben Sie dann gemacht?
Ich habe harte zehn Jahre versucht, einen Spielfilm zu drehen. Das wollte ich schon immer. Ich hatte bereits weitere Experimentalfilme und auch Dokumentarfilme gemacht. Für den WDR drehte ich Magazinbeiträge unter anderem für die Jugendsendung „Stifte & Co.“. Meine Beiträge wurden immer länger, beschäftigten sich mit aktuellen politischen Fragen wie Jugendarbeitslosigkeit. In diesem Rahmen habe ich für zwei aufeinander folgende Sonntage Kurzfilme gedreht. Die beiden Filme habe ich dann zusammengeklebt, bin zur Berlinale gegangen und habe sie gezeigt als den Film „Die Abfahrer“.

Geschichten wurden auf einmal aus einer proletarischen Perspektive erzählt?
Genau das ist mir bereits passiert, als ich nach Kassel gegangen bin. Die 68er-Studenten wollten die besseren Proletarier sein, gingen an die Werkstore und verteilten Flugblätter. Ich kam aus Dortmund, mein Großvater hatte bei Hoesch an der Walzstraße gestanden, mein Vater mit dem Lastwagen die Brammen durch Dortmund gefahren. Wissen diese Studenten eigentlich, wovon sie in ihren Flugblättern sprechen, habe ich mich gefragt und dann den Film „Heinrich Viel“ gedreht. Damit haben wir den Großen Preis von Oberhausen gewonnen. Der Film ist gut eine halbe Stunde lang. Zu Beginn der Vorführung wurde das Saallicht auf Dämmerung gefahren und dann gab es zunächst nur Schwarzfilm mit Ton. Man hörte einen Mann reden, der erzählte, dass er bei VW arbeite, dass er einen tollen Arbeitsplatz habe, mit seiner Familie in den Urlaub gefahren sei. Dann folgte eine 30-Minuten-Einstellung, in der dieser Mann am Fließband in der Motorenfertigung steht und Zylinderkopfmuttern festschraubt. Ungeschnitten, begleitet von dem immensen Lärm, der in der Fabrikhalle herrschte. Das hat dann richtig Ärger gegeben. Die Zuschauer empfanden den Film als Körperverletzung.

Aber dann verließ Sie der Ernst. Die Abfahrer bargen ja bereits komische Elemente.
Das ist eine traurige Geschichte. Ich hatte schließlich einen ernst gemeinten Film gemacht, der von arbeitslosen Jugendlichen handelte. Als ich das erste Mal den Film im Kino anschaute, lachte das Publikum an vielen Stellen heftig. Das fand ich sehr ärgerlich, denn bei jedem Lacher war der nächste Dialogsatz nicht zu verstehen. Mein Verleiher sah das anders. Er zählte 23 Volllacher und 17 Halblacher und war glücklich. Ich musste Kino erst lernen. Ich hatte selbst nicht verstanden, was ich da gemacht hatte

Dann kam „Jede Menge Kohle“. Damit schufen Sie ein Stück Ruhrgebietsidentität. Ist Ihnen das bewusst?
Heute ist mir das bewusst. Der Film hat etwas über das Ruhrgebiet erzählt. Ich wollte aber kein Ruhrgebietsdenkmal schaffen, obwohl es wohl eines wurde. Der Spruch „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen“ hat schon reingehauen.

Die Region ist ja süchtig nach Identität. Über 5 Millionen Menschen leben hier und wissen nicht warum.
So ist es. Es scheint ja keinen Sinn mehr zu machen, Kohle aus dem Berg zu holen, Eisen zu schmelzen, Stahl zu walzen oder Bier zu brauen. Aus den Brauereien werden Kunsttempel. Es ist sehr schwer für die Menschen, den Wandel nachzuvollziehen. Vieles, was ich während des Kulturhauptstadtjahres RUHR.2010 gehört habe, war ja rückwärtsgewandtes, larmoyantes, romantisches Zeug und handelte von einer Region, die es so überhaupt nicht mehr gibt.

Aber es gibt doch auch die Erzählung von Dieter Gorny, dass wir alle Kreativarbeiter werden.
Da kann man viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Ich wiederhole mich: Das Ruhrgebiet ist kein guter Ort für Künstler. Als Filmemacher ist man doch in einer Stadt wie Dortmund Exot. Wir haben gute Hochschulen. In Dortmund kann man gut Fotografie studieren, in Bochum und Essen Schauspiel. Aber wer damit fertig ist, sieht doch zu, so schnell wie möglich wegzukommen, nach Berlin, München, Hamburg, Köln, mindestens nach Düsseldorf. Man wird in Dortmund als Künstler nicht unbedingt liebgehabt.

Woran liegt das?
Als Dortmund Anfang der 1980er Jahre sein 1100jähriges Stadtjubiläum feierte, konnte keiner Quellen nennen, die diese Zahl belegen. Ich habe den damaligen Pressesprecher der Stadt gefragt, wie man ausgerechnet auf dieses Datum komme. Und der hat geantwortet: „Der Engel des Herren trat an das Bett des Oberbürgermeisters und verkündete, dass Dortmund 1100 Jahre alt sei.“ Bei so viel provinzieller Eitelkeit kommt niemand darauf, zu denken, dass das Ruhrgebiet die größte Stadt Deutschlands ist. Und so bleibt man, wenn man von hier kommt und hier bleibt, ein provinzieller Künstler.

Vor diesem Hintergrund macht das Leuchtturmprojekt U doch Sinn?
Ja. Es funktioniert. Es funktioniert jeden Tag. Das U verleiht der Stadt ein neues Bild. Ich bereue es nicht, mit dieser Lichtorgel angefangen zu haben.

Interview: Lutz Debus

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