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Gastgeber Flender und die ReferentInnen Kaul und Palmier (v. r. n. l.)
Foto: Benjamin Knoll

Dichotomie der Ästhetik

22. Mai 2013

„CineScience: Film und Gewalt“ startete am 21.5. in Essen - Kino 05/13

Eine Vorlesung ohne Vorlesungscharakter, so lässt sich die Atmosphäre passend beschreiben. Der Hörsaal ein Kino, die Anwesenden allesamt GasthörerInnen verschiedenster Couleur und DozentInnen, die an diesem Abend weniger belehrend als anregend agierten. Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) ist das Forschungskolleg der Universitätsallianz Metropole Ruhr, hat die interdisziplinäre Forschung in den Sozial- und Kulturwissenschaften zur Aufgabe. Zum Start der Diskussionsreihe „CineScience: Film und Gewalt“ lud es in das in Rüttenscheid gelegene und „Rü" genannte Filmstudio Glückauf.

Zum Auftakt der Reihe hatte man einen populären wie polarisierenden Regisseur zum Diskussionsgegenstand gemacht: Anhand von kurzen Filmsequenzen sollte die Gewaltdarstellung in den Werken von Quentin Tarantino reflektiert werden. Keine leichte Aufgabe, wie sich herausstellte. Gastgeber Dr. Armin Flender, Europareferent des KWI, hatte sich fachkundige Verstärkung ins Boot geholt, um dem umfassenden Thema gerecht zu werden: Susanne Kaul und Jean-Pierre Palmier, FilmbuchautorInnen und DozentInnen für Literaturwissenschaften sind ein eingespieltes Duo. Zusammen haben sie bereits mehrere Sachbücher zum Thema Filmästhetik veröffentlicht. Passend zum Abend erscheint ihr neuestes Werk „Quentin Tarantino: Einführung in seine Filme und Filmästhetik“ im Juni dieses Jahres. Passend zum Titel gab es für das bunt gemischte, aber durchweg film- und- tarantinoaffine Publikum eine kleine Einführung, um alle Anwesenden auf denselben Stand zu bringen. Quentin Tarantino gilt als Meister von inszenatorischen Gewaltorgien. Sein Spiel mit der Ästhetik des vermeintlich Unästhetischen teilt ZuschauerInnen und KritikerInnen in zwei Lager. Für Tarantino ist Gewalt unterhaltsam, eine fiktives Mittel, um mit Sehgewohnheiten zu spielen und Tabus zu brechen. Seine Fans schätzen gerade diese Gradwanderung. KritikerInnen bezichtigen den Amerikaner jedoch nicht selten der Verherrlichung und Bagatellisierung von Gewalt.

Schnell wurde klar: Die grundsätzliche Frage nach der Legitimation, ob also eine Darstellung von Gewalt (ob ästhetisiert, überzeichnet oder abbildend) überhaupt gerechtfertigt, ob sie sinnvoll und notwendig für das Erzählen einer Geschichte ist, wird auch an diesem Abend nicht beantwortet werden können. Vielmehr sollte Empathie für beide Lager, für Für- und GegensprecherInnen durch einen analytischen Blick auf das filmische Geschehen hergestellt werden. So hangelten sich Publikum und ReferentInnen durch den ersten Sequenzblock: Eine auditiv passend begleitete Amputation eines Ohrs in Reservoir Dogs und drei beiläufige Erschießungen in Jackie Brown und Pulp Fiction sorgten für regen Diskussionsbedarf. Schnell zeigte sich auch das Publikum gespalten. Während die einen die überstilisierte Coolness des Killer-Hobby-Chirurgen in Reservoir Dogs als Grund für die aufkommende Komik anführten oder das Stilmittel des unrealistisch ausufernden Gebrauchs von Kunstblut in Pulp Fiction feststellten, begaben sich andere auf die normative, moralische Ebene und fragten, was denn überhaupt „Coolness“ ausmache in der heutige Zeit und ob diese so eng in Verbindung mit dem Tod eines Menschen gebracht werden dürfe.

Motiviertes, zwiegespaltenes Publikum. Foto: Benjamin Knoll

Offenbar hatten die Anwesenden unterschiedliche Erwartungen an den Abend, was eine echte Diskussion oftmals ins Stocken brachte. Das eine Lager analysierte die Szenen, stellte filmische Stilmittel heraus und setzte sie beispielsweise im zweiten und dritten Sequtenzblock in kulturelle (Japanische Traditionen in Kill Bill 1 & Kill Bill 2) oder historische (NS-Zeit in Inglourious Basterds) Kontexte. Das andere Lager wollte den Sinn und Unsinn des ganzen Spektakels hinterfragen und wurde weitestgehend enttäuscht - auch von den ExpertInnen Palmier und Kaul. Ihre durchweg anregenden Fragen und theoretischen Einschübe spielten klar den analytischen Hobby-Cineasten in die Karten und zeigten, dass FilmtheoretikerInnen im weitesten Sinne wissenschaftlich agierende Beobachter und keine Moralisten oder gar Philosophen sind.

Auch aufgrund des doch recht engen Zeitrahmens blieben am Ende des Abends viele Fragen offen, unterhaltsam und anregend war es jedoch allemal. Die nächste Ausgabe der CineScience-Reihe behandelt im Übrigen kein leichteres Thema: In zwei Monaten wird es um Gewaltdarstellungen in deutschen Wochenschauen gehen.

Benjamin Knoll

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