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Foto (Ausschnitt): Peter Ortmann

„Das ist, als ob ich Künstler im Zoo zeigen würde“

26. Mai 2011

In den letzten Jahren erlebte die Street Art einen regelrechten Hype. Jetzt zeigt die Kunsthalle in Wuppertal-Barmen eine Ausstellung - Sammlung 06/11

Street Art ist allgegenwärtig. Ungefragt hinterlässt sie ihre Spuren und Zeichen. Ihre Galerie sind die Straßen der Welt. Was mit Graffiti in den amerikanischen Großstädten der Ostküste vor nunmehr 40 Jahren begann, hat sich mittlerweile entscheidend weiterentwickelt. Urban Art sind temporäre Aktionen, ungewöhnliche Objekte und Skulpturen, Schriftzüge und Characters. Die Möglichkeit, dass viele Passanten diese Eingriffe gar nicht wahrnehmen, an ihnen vorbeigehen und sie übersehen, ist dabei bewusst einkalkuliert. Aber was ist das für eine Kunst, die ihr angestammtes Terrain verlässt? Erfordern die Werke nicht die Stadt als Resonanzraum, als unmittelbaren Widerpart? Die Kunsthalle Barmen widmet sich den Fragen in einer groß angelegten Ausstellung, kuratiert von Rik Reinking.

trailer: Herr Reinking, was ist wichtiger: Ein Wholetrain auf den Gleisen oder eine besprühte Leinwand im Museum?
Rik Reinking:
(lacht) Beides gleich. Beides gehört dazu und es ist völlig legitim auch auf einer Leinwand zu arbeiten, weil es in erster Linie um die Bildsprache geht. Ein Künstler entwickelt über lange Zeit mit viel Energie, Leidenschaft und Können seine eigene Bildsprache, an der man ihn auch wiedererkennt. Damit arbeitet er im öffentlichen Raum, aber eben auch im Innenraum. Ich finde es überhaupt nicht verräterisch, wenn ein Künstler auch auf Leinwand arbeitet, um im Endeffekt einmal davon leben zu können, seine Miete und seine Krankenversicherung zu bezahlen oder einfach um weitermachen zu können.

Und was bedeutet dieser Weg in die Legalität künstlerisch?
Bei einem guten Künstler macht das keinen Unterschied. Auch nicht für eine Ausstellung. Es geht darum, dass wir heute bei der Street Art viele Menschen haben, die sofort was mit dem Begriff anfangen können, ohne zu wissen, worüber sie reden. Er ist eine Trademark geworden. In den 1980er Jahren war Graffiti was Neues, da gab es eine Gruppe Künstler, die hat das auch gelebt. Schnell hat die Werbung gemerkt, dass es funktioniert und hat den Stil adaptiert, bis hin zu Jacken im Graffiti-Look. Ich denke, dass wir heute einen Schritt weiter sind, an einem Punkt, wo viele aus Fehlern auch gelernt haben, nichtsdestotrotz sehe ich immer noch jedes dritte Interview mit einem Musiker, der an eine Wand lehnt, auf der zufälligerweise Street Art ist und ich sehe Jeans Werbung, die irgendwelche Stencils an einer Wand hat.

Wo bleibt die Kunst?
Das ist heute eine ganz andere Entwicklung als in den 1980er Jahren. Heute haben wir viele Werbe-Agenturen, die selber Künstler werden. Die benutzen dann halt ein Synonym und auf einmal höre ich eine Reihe von Künstlernamen, die einfach niemand in der Szene kennt. Die wissen aber, wie man einen Kunstmarkt bedient oder sie wissen, wie man das Internet bedient, um schnell sichtbar zu sein. Für mich ist dann umso wichtiger, in einer Ausstellung zu zeigen, wo die Wurzeln, wo die „Originale“ sind und die internationalen Leute, die das ganze seit Jahrzehnten leben. Da gehören dann Brasilianer oder Südafrikaner dazu, genau wie Europäer.

Ich würde unter Street Art auch Tänzer, Breakdancer, Rollschuhfahrer, Skateboardfahrer fassen. Warum ist der Begriff Graffiti weg?
Also ich sehe unter dem Begriff Street Art auch Allan Kaprow, James Lee Byars, Joseph Beuys, David Hammons, nur um mal mit dem Begriff aufzuräumen. Ich habe ein großes Problem damit. Ich habe auch noch nie eine Street Art-Ausstellung gemacht und mache auch heute keine. Im besten Fall ist es Urban Art, also Kunst die im urbanen Raum ihre Wurzeln hat.

Wie schwer wiegt in so einer musealen Ausstellung das Fehlen der Stadt als Resonanzraum?
Der fehlt gar nicht. Die Künstler in der Ausstellung sind im urbanen Raum groß geworden, sie bringen ihre Erfahrungen jetzt ins Museum. Das ist auch ein bisschen so wie in den Tierpark gehen. Alles ist irgendwie gesichert, da ist eine Museumsstruktur, da ist ein Wärter, da gibt es Aufpasser. Das ist als ob ich Künstler im Zoo zeigen würde. Das ist völlig legitim, ich gehe da rein und was ich sehe, das ist mit Sicherheit keine Street Art, denn sie findet einfach nicht auf der Straße statt, sondern es ist eine Referenz. Sie steht für einen Künstler, oder eine Bildsprache. So wie ich ein monochromes blaues Bild zeigen kann und weiß, das ist Yves Klein, oder eine genagelte Leinwand, dann ist es Uecker, kann ich hier reingehen und wenn ich einen gelben Kopf sehe, weiß ich, das sind die brasilianischen Zwillinge Os Gêmeos.

Wie politisch ist Graffiti noch?
Einige Arbeiten sind sehr politisch, wie die von BOXI. Da sehe ich einen Mann, der auf eine graue Landschaft schaut, ich entdecke Silhouetten, die mich an Fukushima erinnern und ich sehe die Drohne oben fliegen, etwas, das unseren Zeitgeist widerspiegelt und am Ende hochpolitisch ist.

Rik Reinking
Peter Ortmann
Rik Reinking, geboren 1976 in Hamburg, ist Kunstsammler, Kunsthändler und Kurator. Er studierte Rechtswissenschaft und Kunstgeschichte in Hamburg. Im April 2007 gründet Reinking die Artfonds 21 AG, einer Aktiengesellschaft die Gewinnorientierung beim Aufbau einer Kunstsammlung zum erklärten Ziel hat. In der Kunsthalle Barmen zeigt er Street-Art Künstler bereits zum zweiten Mal.

Wird Zeit gefroren, weil die Arbeiten am Ende doch überstrichen werden?
Die Zeit wird eigentlich verlängert. Draußen kann eine Arbeit eine Nacht überdauern oder unendlich viele Jahre, je nachdem wie sich Hauseigentümer oder die Stadtverwaltung kümmern. Im Ausstellungskontext läuft sie jetzt bis September, dann ist sie weg, danach wird überstrichen. Aber man hat mit Sicherheit auch den Fokus geschärft, weil alles konzentriert ist. Was diese Künstler aber motiviert und bewegt – sie kommen zusammen an diesem Ort, sie kommen aus der ganzen Welt, auch für mich ist das wie eine Familie.

Endlich ein Wort zum Begriff Street Art statt Graffiti.
Lustigerweise ist der Begriff Graffiti untergegangen. Ich glaube, dass das stark vom Kunstmarkt gesteuert ist und seinen ganz eigenen Interessen. Graffiti hat ja nachweislich keinen Erfolg gehabt. Das stimmt nicht, aber ich höre es immer wieder. Und Graffiti ist illegal und böse (lacht) und hat es auf den Markt nicht geschafft. Diese Haltung kommt aus einer klaren Richtung – vom Kunstmarkt. Sothebys und die anderen machen ja alle heute Street Art-Aktionen und da sehe ich ganz viel Graffiti drin. Es ist ja nicht so, dass das weg ist. Aber es ist ein Begriff, der sich nicht gut verkaufen lässt. Urbane Kunst hat ihre Wurzeln im urbanen Raum, das kann Graffiti sein, das kann Street Art sein. Aber es ist wichtig, dass es nicht nur die Sprühdose ist, sondern auch ein Mark Jenkins mit Skulpturen, oder Brad Downy mit Videoarbeiten, die seine Spontanaktionen dokumentieren. Es ist schon spannend, sich immer wieder damit zu beschäftigen und damit konfrontiert zu werden und zu sehen, wie dann auf einmal ein Markt entsteht, der lange geleugnet hat, dass es so was gibt.

Keine Angst, dass die Kunsthalle nachher komplett getaggt ist?
Aus politischen Gründen darf ich diese Frage eigentlich nicht beantworten. Ich denke, das verselbständigt sich, klar. Das geht mich ja auch gar nichts an. Ich weiß auch nicht, ob es Nachahmer gibt, die dann aus Respekt so was machen. Also wir stiften niemanden an.

„Street Art – meanwhile in deepest east anglia, thunderbirds were got“ I 28.5.-25.9. I Von der Heydt Kunsthalle Wuppertal – Barmen I 0202 563 65 71

PETER ORTMANN

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