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In Gelsenkirchen erkundet Europas größtes Modellprojekt, wie man die Zechenareale als Bio-Plantagen befristet, aber sinnvoll nutzen kann,
Foto: Tom Jost

„Da werden ganze Busladungen kommen“

25. August 2011

Biomasse, bis sich Besseres findet: In Gelsenkirchen treibt eine Zechenbrache neu aus - Innovation 09/11

Altlast oder neue Potenziale: Nicht nur durch Zechenschließungen hat sich in den Ruhrgebietsstädten ein beträchtlicher Bestand an Brachflächen entwickelt, die auf Investoren warten. Warum sie nicht übergangsweise für Erneuerbare Energien genutzt werden, fragte man sich in Gelsenkirchen und schuf ein interessantes Modellprojekt.

Prof. Frank Lohrberg
Foto: Peter Winandy
Prof. Frank Lohrberg: "Es ist ein Labor.",

Waren das noch Zeiten: Die Stilllegung der Zeche „Dannenbaum“ gerade als Schlag ins Kontor eingesteckt, hatte die Stadt Bochum wenige Wochen später schon einen internationalen Investor an der Angel. Natürlich zahlte man bei Erwerb und Aufbereitung der Flächen drauf, auch eine neue Verkehrsanbindung musste hergestellt werden. Doch unterm Strich stand: ein neues Opel-Werk angesiedelt, 11.600 Arbeitsplätze gewonnen, 2500 Bergleute sicher weiterbeschäftigt. Ein Glückstreffer, der sich so nicht wiederholen sollte.

Wo der Bergbau ging, hat er im Ruhrgebiet Narben hinterlassen Brachflächen, Halden, Altgebäude. In Gelsenkirchen heißen sie „Rheinelbe“ oder „Consolidation“, „Wilhelmine Victoria“ oder „Ewald“. An manchem Ort kam es zu attraktiver Nachfolge durch Wissenschaftspark oder Bundesgartenschau. Woanders reichte es zu kaum mehr als einem Supermarkt. Oder zu gar nichts: „Hugo“ im Stadtteil Buer, im April 2000 stillgelegt, ist so ein Platz. Allerdings sorgt die ehemalige Heimat von 5000 Kohlegräbern jetzt auf andere Weise für Aufsehen.

Wie man solche Flächen befristet sinnvoll nutzen und womöglich im Wert steigern kann, überlegt die RAG Montan Immobilien GmbH als Nachlassveredler der Ruhrkohle schon seit geraumer Zeit. Und kam, zusammen mit dem Stuttgarter Landschaftsarchitekten Prof. Frank Lohrberg, auf eine verblüffende Lösung: Man baut nicht, sondern baut an. Und erntet bis sich etwas Besseres findet.

Das Zauberwort heißt „Biomasse-Park“. Auf 22 Hektar ehemaligen Zechengrundes werden nach und nach gut 10.000 schnell wachsende Pappeln und Weiden gepflanzt, die man alle sechs bis zehn Jahre abschneiden und als CO2-neutralen Brennstoff verfeuern kann. „Es ist das erste Mal, dass man mit einem solchen Projekt auf ein ehemaliges Bergwerksgelände geht“, sagt RAG-Immobilien-Sprecher Stephan Conrad. „Hugo ist zudem die erste Kurzumtriebs-Plantage dieser Größenordnung in Europa“, ergänzt Chefplaner Lohrberg. Und ist sich sicher: „Da werden ganze Busladungen kommen, die sich das anschauen wollen.“

In der Tat haben die Akteure, unterstützt vom NRW-Umweltministerium, einen findigen Plan ausgetüftelt. Damit der alte Zechengrund überhaupt wieder für irgendwas taugen konnte, musste der Boden ohnehin saniert werden. Während die altbelastete Deckschicht zu einem eingekapselten Hügel oder Wall zusammengeschoben wird, kommt der neue Mutterboden von aktuellen Baustellen im Ruhrgebiet. „Und dafür kriegen wir quasi als Entsorger sogar noch Geld“, strahlt Stephan Conrad. Einnahmen kommen in den Folgejahren zudem aus dem Erlös der Holzernte, die man auf etwa acht Tonnen Biomasse pro Hektar schätzt. Verfeuern kann man das entweder im Dinslakener Biomasse-Kraftwerk - oder ganz in der Nähe: Das Regionalforstamt Ruhrgebiet setzt auf Holzhackschnitzel, ebenso „Haus Vogelsang“ als konzernintegrierter Immobilien-Dienstleister. Zu den Kosten des Pilotprojektes macht RAG Immobilien keine Angaben: erwartet wird allerdings, dass sie sich mit den Erlösen ungefähr die Waage halten.

Der absehbare Nutzen soll nicht immer nur materiell sein. Landschaftsarchitekt Lohrberg hofft auf ein „Vorzeige- und Erfolgsmodell für Standorte, bei denen noch keine längerfristige Weiterverwendung absehbar ist“. Die es sicher nicht nur im Ruhrgebiet reichlich gibt. Großer Pluspunkt werde die Bindung an das Wohnquartier und die öffentliche Zugänglichkeit sein der Biomasse-Park auch als Stadtteil-Grünfläche. Am Beispiel „Hugo“ bedeute das: „Die Mauer zur Rungenberg-Siedlung ist dann weg. Ein Radweg mit Blühstreifen quert die Plantage, deren Pflanzreihen so ausgerichtet sind, dass auch die Kirche im Stadtteil als Bezugspunkt aufgewertet wird. Umgekehrt hat man von der benachbarten Halde Einblick in die verschiedenen Wachstumsstadien.“ Und dann ist da noch der ehemalige Förderturm mit dem Hugo-Zechenmuseum des früheren Betriebsrates Klaus Herzmanatus es soll Führungen geben und Flächen für Schulklassen, die selbst mit Pflanzen experimentieren wollten. Frank Lohrberg: „Wir sagen, es ist ein Labor.“

Dieses Pilotprojekt könnte freilich recht schnell Flächenwirkung entfalten. Zum einen verfügen nicht nur die Ruhrkohle-Nachlassverwerter über reichlich Brachen, um die sich mittelfristig Interessenten nicht gerade duellieren. Auch andere Industrien haben hässliche Wunden in den Stadtgebieten hinterlassen, die man mit „Grün-Plantagen auf Zeit“ ästhetisch, ökologisch und energetisch vorteilhaft nutzen könnte: Der Aspekt einer lokalen und CO2-neutralen Energieausbeute spielt in immer mehr kommunalen Klimakonzepten eine ansehnliche Rolle. Dies alles quasi fast auf Abruf für den Fall, dass ein williger Investor kurzfristig anklopfen sollte. „Es kann ja durchaus sein, dass Gelsenkirchen in 20 Jahren wieder boomt“, macht Lohrberg der gebeutelten Stadt Mut.

Übrigens war es auch nicht überall Autolack, der auf Bochums alten „Dannenbaum“-Flächen glänzte. Auf Teilen dieser Bergbau-Hinterlassenschaft sitzt heute ein Schrotthändler. Es soll Anlieger geben, die einen Biomasse-Park als willkommenere Alternative wählen würden.

TOM JOST

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