Viele Menschen streben regelmäßig an sommerlichen Dienstagen in den Abendstunden auf die mächtigen Pforten des Hohen Doms zu. Es sind keine Touristen, denn sie bewegen sich zielbewusst, ein wenig eilend, als könnten sie etwas verpassen. Einige, gar nicht wenige, führen Sitzmöbel aus dem Campingbereich oder handliche Klapphocker mit sich – als gäbe es im Dom keine Bänke. Auch den Gästen aus fremden Ländern fällt dieser magische Strom auf, sie werden neugierig, drängen selbst an die Türen. „Nur zum Konzert“, so leiern die Domschweizer ihr Lied, „nur zum Konzert“! Sie kennen ihr Stammpublikum und können es leicht von den fremden Neugierigen unterscheiden. Wer sich trotz der Drohung mitziehen lässt von der wohl verschworenen Gemeinde, der erhält Gelegenheit, einem nunmehr im 54. Zyklus befindlichen Ritus höchster Kultur beiwohnen zu dürfen. Die DomMusik hat ihn „Orgelfeierstunde“ benannt.
Trotz dieses eher unattraktiven Namens bieten die internationalen Orgelkonzerte im Hohen Dom Treffen in aller Stille, die sich um Publikum aller Altersschichten nicht sorgen muss. Wer nicht eine geschlagene Stunde vor Beginn einen Platz besetzt, darf möglicherweise an den Säulen lehnen oder auf dem Boden hocken – es sei denn, er bringt ein Stühlchen mit. Schnell füllen sich jeden Dienstag die Wandelflächen in den Seitenschiffen und vorzugsweise im Altarraum, denn hier locken die akustisch reizvollsten Plätze – zwischen den Orgeln.
Als 1998 der Dom seine neue Orgel erhielt, war die Standortwahl ein heikles und vieldiskutiertes Thema. Mit aufwendigen Messungen und Versuchen fanden die Fachleute ihren Punkt im Langhaus: Dort klebt sie heute in luftiger Höhe optisch als sogenannte „Schwalbennestorgel“ an der Seitenwand. Tatsächlich hängt diese 30 Tonnen schwere „Königin der Instrumente“ fest verankert im Dachstuhl. So konnte die 50 Jahre ältere Querhausorgel ihren Platz am Altarraum behaupten, und ihr Spieltisch wurde nach einer Überholung vor zehn Jahren zum „Generalspieltisch“ befördert – neben den beiden Hauptorgeln besitzt der Organist von hier aus auch noch den Zugriff auf zwei Trompetenregister im Westen, die als Hochdruckwerk für salutierend festliche Einzüge und für besondere Effekte einsetzbar sind. Dieses Konzept ist in Deutschland einzigartig.
Domorganist Winfried Bönig nutzt diese Möglichkeiten in Improvisationen oder in Stücken, die eigens für diese besondere Konstellation der Klangquellen geschrieben wurden. Aber auch die Creme der amtierenden Konzertorganisten, die diese Reihe sammelt, weiß mit solchen Möglichkeiten umzugehen, und somit ist das Event selbst – abseits seiner musikalischen Inhalte – die Attraktion. Bespielte Architektur, so raffiniert ausgestattet, gewinnt bei Bach bis Naji Hakim – der gastierte bereits selbst im Dom. Die Pfeifen haben sowieso alles drauf, das verraten bereits ihre Namen: Tremulant, Rauschpfeife, Spitzflöte, Waldflöte, Tuba mirabilis, Bartpfeife…
„Orgelfeierstunden“ | dienstags 20 Uhr | 5.8. Wolfgang Baumgratz, Bremen | 12.8. Roucher du Toit, Kapstadt | 19.8. Martin Schmeding, Freiburg | 26.8. Alessio Corti, Mailand | 2.9. Domorganist Winfried Bönig
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