Bereits um 19.30 Uhr, eine halbe Stunde vor offiziellem Beginn, tummelte sich ein nicht zu übersehender Pulk vor der Abendkasse. Zur kollektiven Verwunderung waren die restlichen Plätze im Saal für Sträters Solo-Auftritt bereits vergriffen. Gut 15 Menschen fanden sich auch kurz vor Beginn noch ohne Ticket wieder. Sträter, bewaffnet mit Kaffee, Mütze und seinen Texten, war von dieser Situation sichtlich geschmeichelt, aber dennoch unangenehm berührt und entschloss sich kurzerhand für ein Trostpflaster: „Damit ihr bei dem scheiß Wetter nicht umsonst gekommen seid, lese ich einen Teil meiner Texte in der Pause im anliegenden Café“. Hinter den Kulissen wurde bereits nach Platzlösungen gefahndet und kurzerhand umdisponiert. Gut zehn Plätze wurden schließlich zusätzlich belegt, ein kleiner Teil schaute jedoch in die Röhre und tröstete sich mit der angekündigten Lesung im Café. Sträter ist sicherlich längst kein Unbekannter mehr in der Slam/Literaur-Szene, ein solcher Publikumsansturm war jedoch trotzdem nicht zu erwarten.
Glücksspiel Abendkasse. Foto: Benjamin Knoll
Begrüßt wurde der volle Saal dann auch sehr passend: „Sagt mal, was macht ihr alle hier?“. Bei einer anschließenden Befragung des Publikums stellte sich heraus, dass ein Auftritt bei Stefan Raabs „TV Total“ für einen enormen Bekanntheitsschub gesorgt haben dürfte. Im Rahmen des dortigen Auftritts brachte Sträter die Nummer von einer Klassenpflegschaftssitzung, die aufgrund einer folgenschweren Verwechslung von Waschmittel und Kokain eskaliert war.
Dass seine schlechte Arbeitsmoral für sein Dasein als „Leseonkel“ und daher auch für sein häufiges Bahnfahren verantwortlich ist, kann man glauben. Dass ihm ein riesiger Senffleck auf der Wange zu einem Auftritt auf dem roten Teppich der Goldenen Kamera verhalf, ist sicherlich dem absurden Humor Sträters zuzuschreiben. Auf jenem Parkett für Stars und Sternchen pinkelte er sich spontan mit der Begründung ein, dass Vladimir Klitschko mit seinem Urinstrahl die Keramik gesprengt haben müsse und man sich auf dem stillen Örtchen folglich nur verletzen könne. Die Aufmerksamkeit von Raab und Fotografen war ihm sicher, die ersten Lachtränen des Herner Publikums ebenfalls. Hier jaulte sich fortan vor allem eine Dame in der ersten Reihe in den Vordergrund, deren Lache so penetrant herausstach, dass Sträter zeitweise nur auf jene schrillen Töne reagieren musste, um auch den Rest des Saals zum Schenkelklopfen zu animieren.
Überhaupt bewies Sträter an diesem Abend, dass er mehr ist als Poetry-Slammer oder Literat. Passend zur eigenen Bezeichnung seines ersten Solo-Programms als "literarische Dorfdisco“ oder "Stand-up & Sit-down-Lese-Comedy-Kabarett" bewegte sich der Dortmunder stets zwischen interaktiver Comedy und klassischen Leseelementen. Das besonders Erfrischende an Sträters Kunst: Im Gegensatz zu vielen anderen KollegInnen wirken seine Geschichten stets aus dem Bauch heraus verfasst und nicht gewollt. Hier wird selten Anspruch auf Anspruch erhoben, sondern offensichtlich auf gut formulierte Unterhaltung gesetzt. Wo viele SlammerInnen oft gezwungen wirkende Polit-Pointen einbauen, erklärt Sträter lieber, dass er seine Mütze nicht als Kopfbedeckung, sondern als Schweißauffangbehälter nutzt.
Nach hoch amüsanten Ausflügen in Sträters Kindheit und Abgesängen auf diverse vergangene Jahrzehnte war um ca. 22 Uhr Schluss. Die Lesung in der Pause entfiel aufgrund des zu hohen Lärmpegels im mittlerweile zur bierseeligen Kneipe avancierten Café. Dafür verschenkte Sträter spontan Freikarten für einen seiner nächsten Termine an die leer ausgegangenen BesucherInnen. Ein sympathischer Abend.
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