Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.562 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Hauptsache, es kommt von Herzen
Foto: Krakenimages.com / Adobe Stock

Man gönnt anderen ja sonst nichts

28. November 2023

Teil 1: Leitartikel – Zur Weihnachtszeit treten die Widersprüche unseres Wohlstands offen zutage

Geben ist seliger als Nehmen, so hat es Jesus den Aposteln gepredigt – eine Ermahnung, altruistisch zu handeln. An dieses christliche Plädoyer für Großzügigkeit erinnern wir uns gerne in diesem Monat. Jahr für Jahr hetzen Massen durch die Innenstädte auf der Suche nach Geschenken für ihre Liebsten. Paketzusteller sind am Anschlag und die Post wird Anfang des Monats wieder darauf hinweisen, dass Pakete, die bis zum 24. zugestellt werden sollen, bald abgegeben werden müssen. Und dann sind da die Spendenaufrufe, die alljährlich um diese Zeit verstärkt auf uns prasseln. Seid großzügig! Spendet! Schenkt!

Und das tun die Deutschen. Sie zeigten sich in den letzten zwei Jahren so spendabel wie noch nie, laut dem Deutschen Spendenrat.5,7 Mrd. Euro wurden 2022 gespendet, hauptsächlich wegen des Ukrainekriegs. Rekordjahr der Großzügigkeit war 2021 (5,8 Mrd.), das Jahr der Flutkatastrophe. Am meisten wird im Dezember gespendet, fast drei Mal so viel wie im Jahresdurchschnitt.

Sind wir also eine großzügige Gesellschaft? Ein Volk der Nächstenliebenden und Rücksichtnehmenden? Zwar wird im Advent das Portemonnaie leichter gezückt, doch von mehr Altruismus kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil.

Hauptsache bequem

Wir geben uns mehr Platz, im Mittelpunkt zu stehen. Eine Parkplatz-Erlebnis bleibt mir ewig in Erinnerung. Als ich zu meinem Auto zurückkam, parkte gerade ein Riesen-SUV daneben ein. Ziemlich eng, dachte ich. Eine junge Frau stieg aus, stieß mit ihrer Fahrertüre an meinen Kleinwagen. Ähm …, setzte ich an, da riss sie schon die Hintertür auf und knallte auch diese gegen mein Auto. Leicht sauer sagte ich ihr, sie solle bitte aufpassen. Doch statt sich zu entschuldigen, blaffte sie mich an, ob ich nicht sähe, dass sie ihr Kind aus dem Auto holen müsse. Als ob dies die Rechtfertigung dafür wäre, meine in ihren Augen sicherlich wertlose Karre zu zerkratzen. Ihre Unverfrorenheit verschlug mir die Sprache, während Madame das Kind aus dem Maxi-Cosi schälte, es auf den Arm hob, die Tür zuknallte, und ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen von dannen ging. Ich höre oft, dass andere ähnliche Erfahrungen machen. Mimimimimi. Wir sind zu einer Gesellschaft von Egoist:innen mutiert, denen die eigene Bequemlichkeit in Mittelpunkt steht. Die SUV-Mutti ist nicht allein. 

Verzicht? Lächerlich!

Für Geflüchtete zu spenden hindert nicht daran, auf der Aida durchs Mittelmeer zu schippern. Dass unterm Bug tausende Leichen von Geflüchteten liegen – egal. Wir sind für faire Löhne. Aber dass ein 5-Euro-T-Shirt nicht zu fairen Löhnen hergestellt werden kann, welche Discounter-Kund:in kümmert’s?

Es scheint ein großer Widerspruch zu sein. Auf der einen Seite großzügig, auf der anderen Seite egoistisch. Mit Geld können wir spendabel sind, weil wir immer noch zu den reichsten Ländern gehören. Spenden beruhigt schließlich auch das Gewissen. Aber bei der Organspende sind wir in Europa ziemliches Schlusslicht. Nehmen aber gerne und oft Organspenden aus anderen Ländern an. Auch die Bereitschaft, Zeit zu spenden, lässt nach. 2022 engagierten sich fast 2,5 Millionen Menschen weniger im Ehrenamt als noch 2016. Eine Petition unterschreiben? Ja gerne. Aber nur wenige sind bereit, wirklich etwas dafür zu tun, dass sich Missstände ändern. Denn das kostet nicht nur Energie, sondern heißt auch ein wenig Verzicht üben. Verzichten? War mal eine Tugend. Ist heute lächerlich altmodisch, denn wir haben gelernt: Geiz ist geil und wir dürfen aus dem Vollen schöpfen. Und im Dezember zeigen wir uns spendabel, wie alle Jahre wieder.


GEBEN UND NEHMEN - Aktiv im Thema

deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de | Die seit Juli 2020 tätige Bundesstiftung versteht sich als Servicestelle, die u.a. kleinen Initiativen beim Aufbau der erforderlichen Strukturen hilft.
b-b-e.de/faq | Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, hat zum Ziel „die Bürgergesellschaft und bürgerschaftliches Engagement in allen Gesellschafts- und Politikbereichen nachhaltig zu fördern“.
zukunftsinstitut.de/dossier/dossier-wir-gesellschaft | Das Zukunftsinstitut versammelt Beiträge zu einer solidarischen Wir-Gesellschaft.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de

Tina Adomako

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Arthur der Große

Lesen Sie dazu auch:

Weihnachtswunder
Intro – Geben und nehmen

„Dieses falsche Gesellschaftsbild korrigieren“
Teil 1: Interview – Philosoph Jan Skudlarek über Freiheit und Gemeinwohl

Mit Oma auf die Straße
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Bochumer Ortsgruppe der Omas gegen Rechts

Es ist nicht die Natur, Dummkopf!
Teil 2: Leitartikel – Es ist pure Ideologie, unsere Wirtschafts- und Sozialordnung als etwas Natürliches auszugeben

„Gier ist eine Systemeigenschaft im Finanzsektor“
Teil 2: Interview – Soziologe Sighard Neckel über Maßlosigkeit im Kapitalismus

Menschenrechte vor Dividenden
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre in Köln

Wo komm ich her, wo will ich hin?
Teil 3: Leitartikel – Der Mensch zwischen Prägung und Selbstreifung

„Die Klimakrise rational zu begreifen reicht nicht“
Teil 3: Interview – Neurowissenschaftler Joachim Bauer über unser Verhältnis zur Natur

Etwas zurückgeben
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertals Zentrum für gute Taten e.V.

Konzern in Arbeiterhand
Die Industriegenossenschaft Mondragón – Europa-Vorbild: Spanien

Neidischheit und Geiz und Reichheit
Die Reichen sind geizig und die Armen neidisch. Klare Sache? – Glosse

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!