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Götter oder Opfer? Ohne Kleidung sind alle erst einmal gleich.
Foto: Theater Bochum

„Es ist alles eine Katastrophe“

27. Februar 2014

Lisa Nielebock inszeniert Heinrich von Kleists „Amphitryon“ in den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/14

Stellen Sie sich vor, Sie kommen von einer erfolgreich geschlagenen Schlacht nach Hause, voller Sehn­sucht nach Ihrer lange entbehrten Frau – und sie empfängt Sie mit den Worten: „So früh zurück?“ So ergeht es dem thebanischen Feldherren Amphitryon, als er seiner geliebten Gattin Alkmene gegenübersteht. Die wiederum traut bei dem darauf folgenden leisen Vorwurf Amphitry­ons ihren Ohren nicht, hat sie doch gerade eine höchst sinnliche Lie­besnacht mit ihm verbracht. Ähnlich Verwirrendes muss Amphitryons Diener Sosias erleben, dem von einem Doppelgänger der Zutritt zu seinem Haus gewaltsam verwehrt wird.

Jupiter, der Gott, der Amphitryons Gestalt raubte, um dessen Frau zu lieben, ist aber auch nicht glücklich: Es genügt ihm nicht, geliebt zu werden, er will auch „als er selbst“ geliebt werden. Alkmene schließlich zweifelt an ih­ren Sinnen und ihrem Herz.Lisa Nielebock erkundet das exis­tenzielle Verwirrspiel, das Heinrich von Kleist aus Molières Gesellschaftskomödie machte.

trailer: Frau Nielebock, je älter das Stück wird, umso moderner wird es?
Lisa Nielebock:
Bestimmt. Kleist hat eigentlich in der falschen Zeit gelebt. Er wäre heute noch für uns unerträglich. Weil der so scharf schaut und so brutal leidet unter dem, was, wenn man es so nennen will, so eine Zerrissenheit des modernen Menschen beschreibt. Heute würden wir ihn wahrscheinlich immer noch ausgrenzen und sagen, du bist ja ein Wahnsinniger, du gehörst nicht dazu. So wie es damals auch passiert ist. Deswegen glaube ich, dass wir uns immer näher darauf zu bewegen, um verstehen zu können, was das überhaupt für ein Abgrund ist, den der da beschreibt.

Amphitryon ist aber auch eine Komödie der Boshaftigkeiten.

Lisa Nielebock
Foto: Privat
Nach dem Studium an der Folkwang Universität der Künste hat Lisa Nielebock in Bochum ihre ersten Inszenierungen gemacht und arbeitet seitdem regelmäßig hier.Außerdem führte sie am Nationaltheater Mannheim, am Schauspiel Essen, Nationaltheater Weimar und Theater Bern Regie.Seit 2006 ist sie Regiedozentin an der Folkwang Universität der Künste.Bereits für ihre Diplominszenierung „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal / Aischylos wurde sie 2004 mit dem „Folkwangpreis“ und beim „Körber Studio Junge Regie“ ausgezeichnet. Mit „Phaidras Liebe“ von Sarah Kane war sie zum Festival „Radikal jung“ am Münchner Volkstheater eingeladen.

 


Wir versuchen ganz stark an diese Komödie zu glauben und die auch zu arbeiten. Das ist ja was man fast gar nicht mehr in Worte fassen kann. Was ist die Liebe und was ist der Mensch? Und wie begegnen die sich und wie viel Unsicherheit steckt in uns drin. Aber das Meisterhafte an diesem Stück ist, dass Kleist das in eine ganz klare, spielbare, lustige Komödie gepackt hat. Lustig ist eigentlich ein falsches Wort dafür – es ist wirklich abgründig böse und brutal.

Und Kleist hat Hollywood-Themen vorweggenommen, von Total Recall bis zu Matrix.
Ja, das stimmt. Und am Ende passiert auch ein Wunder. Da kriegt man als Regisseur eine Anweisung, jetzt kommt der Adler von oben runtergeschwebt und der Donnerkeil in der Hand von Jupiter und der Himmel reißt auf und sie fliegen weg. Damit kann man gut arbeiten.

Die alten Themen bleiben also allgegenwärtig?
Die Themen bleiben allgegenwärtig. Aber die Frage nach der Modernität finde ich noch viel treffender. Die Themen packen uns eigentlich an dem Punkt, wo wir wirklich danach suchen, was überhaupt verlässlich, was überhaupt Identität ist. Das finde ich auch sehr interessant. Was ist, wenn ich dich nicht mehr erkenne, als den, den ich liebe, wie soll ich dann wissen, wer ich bin? Das erschüttert meine Grundfesten, wenn du wegbrichst. Wir hängen auch von einander ab – auch davon handelt das Stück ganz stark und das ist auch etwas, was wir zurzeit spüren. Wir können nicht nur unseren Egotrip fahren, damit kommen wir nicht zurande.

Im Internet haben wir heute freiwilligen Identitätsklau und bewusste Identitätsaufwertung gleichzeitig.
Bei Amphitryon geschieht es nicht freiwillig. Trotzdem kann man auch entdecken, insbesondere am Schluss, dass sowohl Amphitryon als auch Alkmene ja nicht frei von Eitelkeit sind, wenn sie sich vorstellen, dass da ein Gott für sie einspringt. Da sind alle anfällig. Und am Ende gibt es den Deal zwischen Amphitryon und Jupiter, wo sie sagen, weißt du was, Schwamm drüber, ich habe dir gerade einen Sohn gemacht, der Halbgott ist. Also es geht auch um Ruhm und natürlich um Ehrgeiz. Kleist zeichnet ja nicht nur die Menschen, sondern zeigt ja in allem auch die Abgründe.

Also war Herkules ein echtes Wunschkind, aber in falscher Bedeutung.
Ja, nur eben vom falschen Vater. Was Alkmene dazu sagt, erfahren wir nicht. Ob der das auch so gut gefällt?

Die Persönlichkeit ist austauschbar, die Liebe auch?
Dieses Fragezeichen muss bleiben. Genau davon handelt das Stück ja auch. Kleist fragt alle Figuren, was das jetzt ist, wenn es sich besser angefühlt hat. Wenn die Nacht mit Jupiter die tollste war ja was ist dann? Auch Alkmene versucht die ganze Zeit, eine exklusive Liebe zu verteidigen, aber ihr Gefühl geht dauernd dagegen.

Wie inszeniert man so eine Höhle Platons?
Mein Gefühl war von Anfang an, dass ich für dieses Stück nichts brauche – nur die Schauspieler. Denen folgen wir jetzt. Die spielen das vor und erleben das und denken das und setzen sich damit auseinander.

Und diese Parallelgeschichte mit Sosias ist tatsächlich notwendig?
Ich glaube schon. Weil natürlich alles auf die Herrscher zurückwirft, dass – wir alle gemeint sind. Und das ist nicht nur am Ehrgeiz festzumachen. Da ist ein Kriegsherr, der nach Hause kommt und dem die Frau weggenommen wurde. Er wird an seinem wundesten Punkt getroffen, denn er hat gehofft, dass er jetzt der große Sieger ist und dann ist das nicht so. Plötzlich ist er gar nicht mehr wert. Aber den anderen passiert das auch. Sosias Frau Charis ist viel offener scharf darauf, mit einem Gott zu schlafen. Die fände die Vorstellung richtig toll. Aber darunter sind es auch vollkommen verzweifelte Menschen. Das ist schon wichtig zu erzählen. Die einen erleben das intellektueller, haben Wahnsinnsmonologe und wichtige Texte. Die anderen erleben die gleiche Frage weniger abgehoben. Ich würde nicht sagen, dass Sosias weniger abgründig oder verzweifelt ist als Amphitryon.

Wenn die Boshaftigkeit über die Herrschenden kommt, kann man damit umgehen, wenn’s einen selber trifft, ist es ungleich schlimmer?
Kleist beschreibt ja Götter und weil die so böse sind, werden sie niemanden auslassen. Es wird da verschieden mit umgegangen. Manchmal retten sie sich auch in Pragmatismus, machen einen Vorschlag, der hinten und vorne nicht aufgeht, weil der Gott nämlich gar nicht mitmacht. Er hat keine Lust auf pragmatische Vorschläge. Charis schlägt auch immer wieder vor, lassen wir einfach den Schwamm drüber – fühlt sich doch prima an. Aber das führt nicht weit. Das bringt nichts. Sie kommen am Ende nicht weiter, nichts klappt. Es ist alles eine Katastrophe.

„Amphitryon“ | So 16.3. 19 Uhr, Fr 21.3., Fr 28.3. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | Infos: 0234 33 33 55 55

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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