Wer bei der Lesung zu Andy Strauß’ und Artur Fasts neuem, „verstörendem Drogenbilderbuch“ wirklich eine abendfüllende Lesung erwartet hatte, wäre bitter enttäuscht worden. Die Lesung des Bilderbuchs in der Bochumer Chrom Galerie belief sich auf 10 Minuten, obwohl Strauß im Rahmen der „Chrom Poetry-Show Vol.3“ erstmalig auf der Lese-Tour das gesamte Werk las und währenddessen die Illustrationen von Artur Fast zeigte. Von deren Tiefgründigkeit zeigte sich der Autor fasziniert: „Vor einer habe ich mal zwei Stunden lang gebannt gesessen. Auch in verschiedenen Geisteszuständen“. Die restlichen 80 Minuten genoss das mit knapp 30 Personen spärlich besetzte Publikum Andy Strauß. Frei jeglichen Kontextes illustrierte Artur Fast im Hintergrund einen Zwerg.
Über Bombi zu Nimmerplatt
Der Abend begann mit einer – wohl aus Absicht – wenig professionell wirkenden PowerPoint-Präsentation. Diese schilderte in Bildern den Entstehungsprozess von „Der kleine Junkie Nimmerplatt“. Bevor es zu der endgültigen Idee mit dem Junkie kam, verwarfen Strauß und Fast viele andere Ideen. Beispielsweise die von Bombi, einer Persiflage auf Disney-Figur Bambi. Nachdem sich Mutter Reh mit einer im Wald liegenden Dynamitstange selbst befriedigte, gebar sie Bombi. Vorhersehbar, dass es mit Bombi ein explosives Ende nahm. Eine weitere Idee war eine Geschichte über die Biene Mayo, eine fliegende Tube Mayonnaise im Heide-Park Soltau. Doch die „Bienenlobby“ unterband dieses Vorhaben schnell. Bei einer Lesung im Dortmunder Westfalenstadion wurde Andy Strauß von BVB- Bienen-Maskottchen Emma verprügelt. Letztendlich hat sich die Hommage an „Die kleine Raupe Nimmersatt“ gegen die anderen Ideen durchgesetzt.
Ein paar Igel und andere Unchristlichkeiten
Nach der Pause wird das Publikum um eine wegweisende Entscheidung gebeten. Es soll vorschlagen, was der Zwerg, den Artur Fast im Hintergrund illustriert, in der Hand halten soll. „Einen Igel“, wird spontan in den Raum geworfen. Nach einer erneuten Aufforderung fällt dem Publikum nichts Besseres ein. Plötzlich kommentiert Strauß: „Artur, mal ’mal, wie Jesus an Händen und Füßen mit Igeln ans Kreuz geigelt ist“.
Passend hierzu der Bericht seines neuen Projekts „Mitfahrgelegenheitsmenschen verstören“. Auf der Internetseite mitfahrgelegenheit.de schreiben Fahrer Routen aus, die sie fahren. Leute, die eine Mitfahrgelegenheit suchen, können sich bei den Fahrern melden. Auf der Route nach Hamburg spielen Andy Strauß und Artur Fast mit Dauergrinsen und „Preiset den Herrn“-Liedern ihren zwei Mitfahrenden eine übersteigerte Gottgläubigkeit vor. Gottes Zorn ist da nicht fern. So wird der Streich am Ende mit Gesichtsmuskelkater bestraft.
Gesichtsmuskelkater hatte auch das Publikum am Ende der Show. Nach 1 ½ Stunden Witz und Wahn bedarf es einer kurzen Verschnaufpause, um wieder zu normalen Gedanken zu kommen.
Andy Strauß und Artur Fast: „Der kleine Junkie Nimmerplatt“
Unsichtbar-Verlag, 9,99€
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