trailer: Herr Alt, ist die Energiewende zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen?
Franz Alt: Politiker haben mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz im Jahr 2000 den richtigen Rahmen gesetzt. Seitdem aber haben zu mindestens 90 Prozent die Bürgerinnen und Bürger die Energiewende in die Hand genommen. Das waren Bauern, Handwerker, Hausbesitzer, Energiegenossenschaften.
Ist die Energiewende bei der Großen Koalition in Berlin in guten Händen?
Manchmal habe ich den Eindruck, Wirtschaftsminister Gabriel versteht unter Energiewende eine Wende hin zur Kohle. Er ist eher ein Erzengel für die Kohle als dass er für erneuerbare Energien streitet. So gelingt Klimaschutz nicht, denn Kohle, insbesondere Braunkohle, ist der größte Klimakiller. Gabriel will, dass die erneuerbaren Energien in diesem Jahr um 0,3 Prozent wachsen. Wenn er dieses Tempo beibehält, braucht er für die Energiewende 200 Jahre. Wenn eine große Klimakatastrophe verhindert werden soll, dann müssen wir in 30 Jahren völlig auf erneuerbare Energien umgestellt haben.
RWE scheibt seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder rote Zahlen. Ist daran nicht die Energiewende schuld?
Wer die Zukunft verschläft, hat keine. Das war immer schon so in der Geschichte. Die Schreibmaschinenhersteller erkannten nicht, was Computer und Internet bedeuten. Heute gibt es Schreibmaschinenhersteller nicht mehr. Ich brauche RWE nicht mehr, wenn ich eine Solaranlage auf mein Dach montiere. Ich brauche nur einen Handwerker, der sein Handwerk versteht. Kohle, Öl, Gas und Uran gehen zur Neige. Das lernt jedes Schulkind. Nur die Manager der Energiekonzerne haben das nicht begriffen.
Die Energiewende benötigt also einen gutwilligen Wirtschaftsminister?
Jeder Wirtschaftsminister in den letzten Jahrzehnten war ein Vertreter der alten Energiewirtschaft. Die Energiekonzerne erwirtschafteten bislang auch immer die Milliardengewinne, um für das Wirtschaftsministerium ein wichtiger Gesprächspartner zu sein. Wie die aktuellen Nachrichten über die Jahresbilanz von RWE belegen, wird sich dies ändern.
Aber auch die Hersteller von Photovoltaik-Anlagen und die Betreiber von Windparks machen aktuell Negativschlagzeilen.
Richtig, bei jeder Innovation gibt es auch ökonomische Probleme. Schauen Sie sich mal die Geschichte der deutschen Automobilwirtschaft an. Vor hundert Jahren hatten wir etwa 100 Automobilproduzenten. Davon sind fünf übriggeblieben. Der Markt konsolidiert sich gerade. Zudem hat es die Politik den Herstellern und Betreibern regenerativer Energiequellen schwer gemacht, indem sie die Einspeisevergütung viel zu rasch gesenkt hat. Wenn Vergütungen von einem Jahr auf das andere um 50 Prozent reduziert werden, geht jede Branche in die Knie. Hinzu kommt, dass es die chinesische Konkurrenz einfacher hat. Die chinesische Solarwirtschaft hat im letzten Jahr vom Staat für 80 Milliarden Dollar zinsfreie Kredite bekommen. Davon kann unsere Solarindustrie nur träumen.
Die Betreiber von Windparks aber leiden doch nicht unter der chinesischen Konkurrenz?
Natürlich gibt es in jeder Branche Menschen, die nicht wirtschaften können. Überall gibt es schwarze Schafe.
Die Energiewende ist noch zu retten?
Natürlich. Wenn der jetzigen Regierung die Energiewende nicht gelingt, dann kann doch eine Regierung, die 2017 gewählt wird, neue Impulse setzen. Angela Merkel hat recht, wenn sie die Klimapolitik zur Überlebensfrage der Menschheit erklärt. Sie ist übrigens die einzige Regierungschefin der Welt, die vernünftige Konsequenzen aus Fukushima gezogen hat. Das Hauptproblem sehe ich bei Herrn Gabriel.
Ist die CDU also ökologischer als die SPD?
Die SPD ist die alte Kohlepartei. In Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gibt es ergiebige Braunkohlereviere. Die großen Landesverbände der SPD sind klassische Kohlelandesverbände. Es ist doch kein Zufall, dass mit Wolfgang Clement und Werner Müller zwei ehemalige SPD-Wirtschaftsminister inzwischen bei der Energiewirtschaft ihr Geld verdienen. Die haben gut vorgesorgt. So machen das Wirtschaftsminister immer. Vielleicht hat Sigmar Gabriel ähnliche Pläne.
Wird es in drei Jahren die Große Koalition überhaupt noch geben?
80 Prozent der Menschen in Deutschland sind für die Energiewende. Wenn die jetzige Regierung die Energiewende ausbremst, dann bekommen wir als nächstes eine schwarz-grüne Regierung. Wer nichts begreift wird abgewählt. Das ist der Charme der Demokratie.
Sie stellen die Energiewende also als alternativlos dar?
Die Weltbank hat ausrechnen lassen, wie teuer es ist, weiter auf fossile Energie zu setzen und kam auf den sechsfachen Betrag, als wenn man die Energiewende voranbringt.
Ein Kostenfaktor der Energiewende ist der Netzausbau. Sind die geplanten großen Stromtrassen wirklich nötig?
Um Ballungszentren wie zum Beispiel das Ruhrgebiet mit Energie zu versorgen, benötigen wir in der Tat neue Trassen, allerdings nicht in dem Ausmaß wie nun von der Energiewirtschaft geplant. Dort denkt man noch immer in zentralisierten Strukturen. Eine wirkliche Energiewende funktioniert mit einer dezentralen Energieversorgung. Jedes Haus kann ein Solarkraftwerk werden. Überall, wo Wind weht, können wir ein Windrad aufstellen.
Horst Seehofer ist auch gegen neue Trassen.
Seehofer ist der Oberpopulist. Vor Fukushima erzählte uns Horst Seehofer, dass in Bayern kein Wind weht und man deshalb dort keine Windräder braucht. Nach Fukushima wehte plötzlich Wind in Bayern. Seehofer forderte 18 Prozent aus Windkraftwerken für sein Bundesland. Nun ist er wieder gegen Windräder, will einen Abstand von 2.000 Metern bis zum nächsten Wohnhaus. So kann man die Windkraft in Bayern wieder vergessen. Er will aber auch keine Trassen, um an Windenergie von der Nord- oder Ostsee zu gelangen. Wie will er die Energiewende betreiben, wenn er gegen alles ist?
Die großen Offshore-Windparks sind wiederum nur etwas für die großen Konzerne.
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Offshore-Windparks. In dem Ausmaß aber, wie sie nun geplant sind, sind sie nur wieder ein Geschenk an die alte Energiewirtschaft. Es ist der letzte Strohhalm, an dem sie sich festhalten. Bereits in den 90er Jahren habe ich den Vertretern der Energiewirtschaft gesagt, dass sie sich auf die Entwicklung und Produktion der Technik regenerativer Energiegewinnung konzentrieren müssen, wenn sie in der Zukunft eine Rolle spielen wollen.
Was ist, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint?
Wir haben fünf große regenerative Energiequellen, von denen sind zwei unbeständig, Wind und Sonne. Wasserkraft, Bioenergie und Erdwärme stehen uns kontinuierlich zur Verfügung. Neue Technologien werden die Energieversorgung noch sicherer machen. Die Entwicklung kleiner Windräder hat gerade begonnen. Auf jedem Haus kann solch ein Windrad stehen. In Deutschland haben wir gute Voraussetzungen. Im Winter haben wir viel Wind, im Sommer viel Sonne. In Zukunft wird es auch bessere und billigere Batterien geben. Das Fraunhofer-Institut beschreibt als ganz große Lösung „Power to Gas“. Aus dem überschüssigen Strom machen wir Wasserstoff und daraus Erdgas, das ins vorhandene Gasnetz eingespeist oder gelagert werden kann.
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