Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
28 29 30 31 1 2 3
4 5 6 7 8 9 10

12.579 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

„Woyzeck“
Foto: Sandra Schuck

Eine Welt, in der man nur noch denkt

25. Januar 2018

„Woyzeck“ in Bochum – Theater Ruhr 02/18

Das Bühnenbild ist mehr Fragment als Büchners Text über den einfachen Soldaten Woyzeck. Ein paar undurchsichtige Kunststoffbahnen, eine kleine schwarze Bank, damit inszeniert der junge Regisseur Jakob Arnold am Bochumer Prinzregenttheater Georg Büchners Dramenfragment mit nur zwei Schauspielern. Das vom Autor anvisierte Loch in der Natur wird dabei Wirklichkeit. In einer Welt, in der man nur noch denkt, lebt Woyzeck scheinbar in einem einzigen Traum. Alle Figuren um ihn herum scheinen dieser imaginären Welt entsprungen, fallen heraus aus dem Nebel und verschwinden wieder darin. Arnold inszeniert in Wellenbewegungen von hinten nach vorn. Sophie Killer hetzt gemach mit wechselnden Rollen durch die Folien, von Marie, der Frau in Rot, über den schwarzen Hauptmann, bis hin zum fetten, im Fat-Suit eingekeilten Doktor, der die Erbsen auf der Bühne lieber selbst in sich hineinstopft. Diese Reduktion des Stückes treibt den bösen Schabernack der Schizophrenie grandios auf die Spitze.

Für Märchen und mehr hat Helge Salnikau als Woyzeck keine Zeit mehr, widerwillig rasselt er das Märchen vom armen Kind herunter. Penetrant sucht er dagegen die Peripherie seiner Gedanken, und was er da findet, macht ihn froh oder zornig, aber meistens unvorsichtig, denn er spricht mit dem einzigen Freund Andres im Nirgendwo, er hüpft und salutiert, selbst wenn er allein auf der Welt ist und sich unfreiwillig flüsternd „What a Wonderful World“ abringt. Der Teufel in Rot wartet schon auf seine Seele, die er früh achtlos verschenkt. Mit dieser Regie entzieht Arnold Büchners Text dem 19. Jahrhundert, reduziert die Figur Woyzeck geschickt auf dessen wechselnde Persönlichkeiten im Kopf, die Salnikau auch glänzend umsetzt, nie hat man das Gefühl, dass die ihn umgebenden Figuren und er einen tatsächlichen Dialog führen – selbst der Mord verschwindet im milchigen Nichts der Bühne. Als er zu Beginn das Kleid Maries zusammenfaltet, war die Handlung bereits beendet, nur die Geister der auserwählten Personen eroberten die Szenerie. Es war ein starker Abend, an dem nur die Oberstufenschüler im Publikum verzweifelten.

„Woyzeck“ | R: Jakob Arnold | 27.1., 17.2. 19.30 Uhr, 28.1., 18.2. 18 Uhr | Prinzregenttheater Bochum | www.prinzregenttheater.de

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Alter weißer Mann

Lesen Sie dazu auch:

„Was heißt eigentlich Happy End heute?“
Alexander Vaassen inszeniert „How to date a feminist“ in Bochum – Premiere 05/23

Lug und Trug und göttliche Rettung
„Onkel Wanja“, „Orestes“ und „Dantons Tod“ – Prolog 03/23

Kitchen Stories
„Die Hausherren“ als Uraufführung im Livestream am PRT Bochum – Prolog 03/21

Das langsame Ende eines schnellen Anfangs
„Squash“-Premiere in Bochum – Bühne 02/21

Der Feind im Kopf
„Extremophil“ im Prinz-Regent-Theater Bochum – Theater Ruhr 05/18

Rotieren auf dem Gipfel
„Sisyphos!“ am Prinz Regent Theater in Bochum – Theater Ruhr 04/18

„Wir wollen andere Wege auf der Bühne gehen“
Gespräch zu „Sisyphos!“ im Bochumer Prinzregenttheater – Premiere 03/18

Das Jahr beginnt mit Flüchen
Komödien sind nicht alles im Theater – Prolog 01/18

Tyrann im Gehege
„Caligula“ im Prinz Regent Bochum – Theater Ruhr 12/17

Das langsame Ersticken im Plüsch
Jean Genets „Die Zofen“ im Bochumer Prinz Regent – Theater Ruhr 11/17

„Drittes Baby“ im Würgegriff
Der Streit um die Intendanz der Prinz Regent Theaters – Theater in NRW 10/17

Der Neid auf jedes fremde Glück
Romy Schmidt inszeniert im Bochumer Prinz-Regent-Theater „Angst essen Seele auf“ – Auftritt 07/17

Theater Ruhr.

Hier erscheint die Aufforderung!