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Die Königskinder (Sina Kießling und Ronny Miersch) leben in ihrer eigenen Sphäre. Schwierig beim ersten Kuss
Foto: Birgit Hupfeld

Drogenkids mit blendender Zukunft

01. Mai 2010

Anna Bergmann zeigt am Schauspielhaus Bochum ihre Version von "Leonce und Lena" - Theater Ruhr 05/10

Es rumort richtig im Bochumer Schauspielhaus. Orgien mit sex, drugs and rock’n‘roll, dekadente Spielchen am Tresen in schrillen Outfits, mittendrin Kurt Cobain umgeben von aufreizenden Jungs und Mädels. Im Hintergrund fetzige Werbespots für Jeans, Parfüm und Lifestyle. Das Laster erreicht seinen Höhepunkt, dann wechselt das Bild, das Koks wird weggefegt, der König (Bernd Rademacher) muss schließlich seine Lektion im meditativen Bogenschießen abhalten. Regieren macht eben Stress. Williger Willen ist dafür genauso schädlich wie endloses Warten, und so wartet King Peter vom Reiche Pop schon seit Jahren ungeduldig darauf, dass er endlich mal einen Pfeil abschießen darf. Sein Land ist die börsennotierte Jeansmanufaktur „Leonce – Made of Love“, die natürlich ihren Shareholdern verpflichtet ist. Der Hofstaat bildet dafür den dienernden Aufsichtsrat. Ausgerechnet Cobain muss sich dafür wieder in den Königssohn Leonce verwandeln und soll nun Lena vom Reiche Pipi heiraten, die eine florierende Parfümmarke besitzt. Danach besitze man zwei Konzern-Königreiche mit 17 Prozent Marktanteil, King Peter ist begeistert von der Idee. Die beiden in Vip-Dekadenz aufgewachsenen Königskinder natürlich nicht. Leonce (Ronny Miersch) zertrümmert eine Gitarre, auf der anderen Seite der Drehbühne (Matthias Werner) hüpft die wilde Lena (Sina Kießling) herum, gelangweilt von Party und Drogen. Ihr einzige „Konstante“ ist die gleichnamige Gouvernante, ein desillusionierter Mann in Frauenkleidern (Michael Lippold), beide auf der Suche nach Sinn und Geborgenheit.

Regisseurin Anna Bergmann hat wohl gut 70 Prozent Original von Büchner verwendet, um ihre leckere Version auf die große Bühne zu werfen, ein bisschen mehr Text für Lena gehört genauso dazu wie diverse Zeilen anderer Autoren. Zusätzlich bombadiert die Inszenierung die Zuschauer förmlich mit Regieblitzen in ausgefallenen Bühnenbildnern. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, als sei die eine oder andere Idee vom Film gesampled worden, dass Valerio (Sebastian Kuschmann) als Gelbe Seiten-Onkel auftritt beispielsweise, oder bei Textzeilen aus „Manche mögen‘s heiß ...“, aber das bricht der Zweieinhalb-Stunden-Inszenierung keinen Zacken aus der königlichen Krone. Dieser Abend bietet nonstop gelungene Unterhaltung mit guten Schauspielern in schöner Kostümierung und Bebilderung.

Das heißt natürlich nicht, dass die Satire und Sozialkritik Georg Büchners bei diesem visuellen Bombardement vollends auf der Strecke bleibt. Die Forderung nach Voll-Arbeitslosigkeit für geschmackvollen Müßiggang konnte der Autor in seiner Zeit zwar noch nicht formulieren, auch die Halbtages-Reise durch die damaligen zahllosen Fürstentümer, ein halbes Dutzend Großherzogtümer und ein paar Königreiche ist heute in Deutschland nicht mehr möglich. Deshalb hat Anna Bergmann die Flucht der beiden vor der Hochzeit nicht nach Italien, sondern an den Südpol verlegt. Die Videoleinwand zeigt im Hintergrund Pinguine und Nordlichter. Die Drehbühne wird zur splitterglatten Eisfläche, auf der die Personen ihre stolpernden Bahnen ziehen müssen. Trotz der eigentlichen Leere ist auch hier die Choreografie ausgefeilt und stimmig. Leonce will sich im Schneegestöber das Leben erfrieren, doch Valerio rettet ihn in ein Iglu. Das Paar kann sich also finden, ohne sich zu kennen.

Der dritte Akt am Königshof zeigt nur noch die Hochzeit, bei der der König hinters Licht geführt wird. Für die Automaten, die Büchner die Liebenden zum Versteckspiel am Hofe spielen lässt, reicht bei Bergmann die Statisterie mit Papiertüten nebst Portraitaufdruck, auch zwei Zuschauer werden dafür auf die Bühne gelotst, der einzige Regieeinfall, der überflüssig war. Die erhoffte Fusion von Lena Parfum und Leonce Jeans zu „L&L – when love meets life“ ist perfekt, der passende Werbeclip wird bereits vorgeführt. Leonce wird also König des Müßiggangs. Valerio wird Minister, der Arbeit unter Strafe stellt, nur Lena scheint irgendwie doch nicht glücklich zu sein.


PETER ORTMANN

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