Wie selbstverständlich stehen Holz-Strandliegen auf Beton. Draußen regnet es in Strömen, doch der Dortmunder Hafen droht vor Kreativität überzulaufen. Daran sind vier Poetry Slammer (Laura Reichel, Rainer Holl, Murat Kayi und Tobi Katze) schuld, die im Club Hafenliebe ihr speziell für diesen Ort entwickeltes Programm präsentieren. Um die 30 Poetry-Begeisterte besuchten die Premiere der Lesebühne SchreibGut. Die Einrichtung der Hafenliebe passt zwar nicht zum Wetter, ist aber genauso ambitioniert wie das Projekt der Slammer. Eineinhalb Stunden lang wurde gelesen, musiziert und gedichtet.
Den Anfang macht Laura Reichel. „Ich bin die Bühnen-Unersättliche“, erklärt sie in ihrem Loblied an das Standgerüst der Poeten. In den ersten 45 Minuten vor der Pause geht es um das Thema „Wasser“. Dieses wird ernsthaft, verträumt oder brachial humoristisch verarbeitet. Rainer Holl bemüht das Publikum, an ein Gewässer zu denken. Danach soll es sich zu diesem passende Adjektive überlegen. Der Clou des angekündigten Psychotests: Die überlegten Adjektive charakterisieren das Sexleben der betreffenden Person. „Ich habe an einen Tümpel gedacht. Klein, schmutzig…“, kommentiert Tobi Katze. Nach der Pause verfällt die Themenvorgabe und die Poeten sind deutlich entspannter. Murat Kayi, der mit seiner Gitarre manche Texte musikalisch begleitet, bringt mit einem Gitarrensolo Abwechslung in die Hafenliebe. Die nun monatlich stattfindende Lesebühne gewinnt an Fahrt.
Leider schaffen es die Slammer bei aller textlichen Vielfalt und lässigen Inszenierung nicht, ihr sichtlich strukturiertes Grundkonzept in die Tat umzusetzen. Die Präsentation ist über weite Teile zu chaotisch. Schade, dass sie die Lesebühne unter ihrem Wert verkaufen. Oder um es flüssiger zu sagen: Das Wasser hat gebrodelt, aber nicht gekocht.
Vom Hafen in die Innenstadt
Gekocht hat hingegen die Stimmung in der Bochumer Chrom Galerie. Lars Ruppel und Bo Wimmer, auch als Team Rocket bekannt, heizten dem 40 Personen starken Publikum bei der „Chrom Poetry-Show Vol.2“ mit ihren Dichtungen ein. Zu Beginn klärt Lars Ruppel eine Problematik zu Bo Wimmers Bekleidung: Dieser wollte zum Jackett in kurzer Hose auftreten, was Ruppel als einen eklatanten Stilbruch deklarierte. Das Publikum hatte nichts dagegen.
Textsicher präsentiert das eingespielte Team Szenarien, deren Themen alltäglich sind, aber Umsetzung außergewöhnlich ist. Bo Wimmer erzählt die Geschichte der Henne Ruth, die sich als einzige nicht vom Hahn des Hofes begatten lassen will. Aufgeplustert und egozentrisch schafft er es nicht, Ruth von der Stange zu locken. Schlussendlich landen beide vereint im Suppentopf. Lars Ruppel kann dem gestisches Hochtalent entgegensetzten. Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, benutzt er die „Fist of Emotion“ und das unmittelbar darauf folgende „Touch the Horizon“. Zuerst ballt er seine ausgestreckte Hand zur Faust und zieht sie dramatisch zu seiner Brust, um die Faust danach in einer graziösen Kreisbewegung gen Horizont schweifen zu lassen. Worte wie „Svenja“ oder „Baggersee“ werden beispielhaft emotionalisiert. Lars Ruppel scheut bei seiner Choreografie nicht den Vergleich zu einem Backstreet Boys-Video.
Untermalt wird die Show von Speed-Painter Artur Fast. Dieser erschafft neben der Bühne am Laptop eine spektakuläre Kulisse. Das Publikum konnte den Schaffensvorgang live über Beamer und Leinwand bestaunen. In knapp zwei Stunden Dauer der Poetry-Show entstand auf und neben der Bühne große Kunst. Das Malen im Hintergrund lenkt dabei genauso wenig von den Texten ab, wie Bo Wimmers Outfit. Auch eine Kunst, Dichtung so fesselnd zu präsentieren.
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