Ein Mann fährt auf seinem Skateboard eine einsame Landstraße entlang. Marvin Hacks (Jake McLaughlin) kehrt heim! Siebzehn Jahre hat er im Gefängnis gesessen. Für eine Bluttat in seinem Geburtsnest Newhall. Die Stadt, in die er zurückkehrt, ist marode, die Menschen sind abgebrannt. Seine Mutter (Kathy Bates), bei der er unterkommt, ist schwer erkrankt. Ihr Sohn fühlt sich für sie nicht wie ihr Marvin an. Marvin begegnet alten Bekannten im Ort. Seinem alten Kumpel, dem Junkie Wade, Zeuge aus der Tatnacht. Dem Pfarrer. Und Russell, Verwandter des Opfers von damals, der, von Jähzorn erfüllt, den Täter nun persönlich zur Verantwortung ziehen will. Delta, die jüngere Schwester von Russell, gerät zwischen die Fronten. Franka Potentes Regiedebüt „Home“ ist in den USA angesiedelt, in einer feindlich gesinnten Provinzstadt. Anmutig und subtil folgt Potente dem Weg eines Mannes, der aus dem Gefängnis kommt und in eine Stadt zurückkehrt, die selbst einem Gefängnis gleicht, in dem die Bewohner einsitzen. Hoffnungslos von der Lebensfreude weggeschlossen, der Vergangenheit verhaftet. Ein bewegendes, nicht zuletzt auch hoffnungsvolles Drama über die Suche nach Frieden, über Rückkehr und Abschied und Vergebung.
Von Den Helder in den Niederlanden entlang der deutschen Küste bis nach Dänemark erstreckt sich das Wattenmeer. Regisseur Pieter-Rim de Kroon bereist in „Der Atem des Meeres“ das UNESCO-Weltnaturerbe durch die Jahreszeiten und bildet es ab. Die Kamera oft starr, lässt er seine wiederholt traumhaften Eindrücke kommentarlos wirken, begleitet Fischer und Forscher durch Flora und Fauna. Allgegenwärtig sind Ebbe und Flut, die de Kroon kunstvoll überblendet verdichtet. Die wiederkehrenden Gezeiten bilden einen von vielen Kreisläufen, die dem Film einen erzählerischen Rahmen geben. Insgesamt bildet dieser subtil assoziativ komponierte Reigen eine prächtige sinnliche Erfahrung, die ein gutes Doublefeature mit „Leviathan“ von Lucien Castaing-Taylor und Verena Paravel abgeben würde.
An der Schnittstelle von Hippie-Ideologie, den Grünen, Punk, Informatik-Strebertum und Science Fiction-Fantum gründet sich 1981 in Hamburg der Chaos Computer Club. 40 Jahre später ist der CCC nicht nur weltweit eine der ältesten, sondern auch die größte Hackervereinigung Europas. Wie es dazu kam, erzählen Klaus Maeck („B-Movie. Lust und Sound in West-Berlin 1979 – 89“) und Tanja Schwerdorf in ihrer Dokumentation „Alles ist eins. Außer der 0“. Dabei setzen sie einen klaren Fokus auf den sympathischen Gründer Wau Holland und erschaffen eine mit viel zeitgenössischem Archivmaterial ausgestattete, auch visuell wilde Reise in die Frühzeit der Heimcomputer und die damit verbundenen politischen und sozialen Implikationen. Wau Hollands 20 bis 30 Jahre alte Einschätzungen von Segen und Fluch des Internets kann man erstaunlicherweise 1:1 in die Gegenwart übertragen.
Mit ihren beiden Dokumentarfilmen „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ und „Die Höhle des gelben Hundes“ schrieb Regisseurin Byambasuren Davaas Filmgeschichte, setzte ihrer Heimat ein märchenhaft-mythisches Denkmal. Nun greift die in Deutschland zur Regisseurin ausgebildete Mongolin in ihrem ersten Spielfilm „Die Adern der Welt“ diese poetische Stimmung wieder auf, kontrastiert sie aber mit der Realität: Profitgierige Goldminenbetreiber versuchen immer mehr die alteingesessenen Nomadenfamilien mit lächerlichen Abfindungen umzusiedeln. Im Mittelpunkt der Handlung steht der 12-jährige Amra (Bat-Ireedui Batmunkhw), der mit seiner Mutter Zaya (Enerel Tumen), seinem Vater Erdene (Yalalt Namsrai) und seiner kleinen Schwester Altaa (Algirchamin Baatarsuren) mitten in der Steppe in einer der landesüblichen Yurten lebt. Nach einem schweren Unfall muss Zaya die Verantwortung übernehmen - und wird zur „Anführerin“ der rebellischen Nomaden. Die bildgewaltigen Landschafts-Panoramen (Kamera: Talal Khoury), die unaufdringlichen Alltagsbeobachtungen und das authentische Spiel der kleinen und großen Darsteller sowie der betörende Soundtrack von John Gürtler und Jan Miserre machen den Film ungeheuer eindrucksvoll.
Xavier Dolan ist noch keine 30 Jahre alt, als er seinen inzwischen achten Film „Matthias & Maxime“ vor zwei Jahren fertigstellt. Weniger melodramatisch als einige der Vorgänger, erzählt der Film eher alltäglich von der Freundschaft zweier junger Männer, die sich seit der Kindheit kennen, für die sich jedoch durch einen harmlosen Kuss vor der Kamera alles ändert. Von menschlichen Unsicherheiten, emotionalen Nöten und Alltagsbrassel der unterschiedlichen Männer – Matthias in wohlhabenden Verhältnissen, Max (nach längerer Zeit ist Dolan mal wieder selber in einer Hauptrolle zu sehen) ärmlicher und in dysfunktionaler Familie aufgewachsen – erzählt der Film in einem unaufgeregten, realistischen Tonfall, der einen aber immer tiefer in die Gefühlswelt der Protagonisten hineinzieht.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: William Nicholsons Familiendrama „Wer wir sind und wer wir waren“, Fergus Gradys und Noel Smyths Doku „Himmel über dem Camino - Der Jacobsweg ist Leben“, M. Night Shyamalans etwas anderer Senioren-Horrortrip „Old“ und David Lowerys Ritterdrama „The Green Knight“. Dazu starten Jaume Collet-Serras Amazonas-Jagd „Jungle Cruise“, Helena Hufnagels Singlekomödie „Generation Beziehungsunfähig“, Guy Ritchies neuer Gangster-Actioner „Cash Truck“ und, für die Jugendfraktion, Lea Schmidbauers neues Pferdeabenteuer „Ostwind: Der große Orkan“.
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