Mit seinem skurrilen Troll-Film „Border“ gewann der in Schweden lebende Iraner Ali Abbasi 2018 in Cannes den „Un certain regard“. Mit „Holy Spider“ war er 2022 im Wettbewerb vertreten und – virtuell – in seine Heimat zurückgekehrt: Denn die Geschichte spielt Anfang 2000 in der heiligen Stadt Maschhad, in der der religiöse Fanatiker Saeed Hanaei seine Opfer mit ihrem eigenen Hijab erdrosselt hatte. Drehen musste Abbasi in Jordanien, weil der Iran keine Genehmigung erteilt hatte. Kein Wunder, trifft die Journalistin Rahimi (großartig: Zar Amir Ebrahimi) bei ihren Recherchen auf eine von Frauenhass und Frauenverachtung geprägte Gesellschaft, die wegschaut, statt den Killer zu stoppen. Ein Film, der an die Grenzen des Erträglichen geht und uns mit geballten Fäusten in den Taschen entlässt.
Mit elf Jahren reist Pietro erstmal gemeinsam mit der Mutter in ein entlegenes Bergdorf. Dort lernt er den einzigen Gleichaltrigen kennen: Bruno. Die beiden Jungen werden Freunde und sich auch als Erwachsene immer wieder begegnen – Bruno, der gefestigte Mann aus den Bergen, und Pietro, der ewig Suchende. Doch nichts bleibt wie es ist. Mit seiner Partnerin Charlotte Vandermeersch adaptiert Felix van Groeningen („The Broken Circle“) den Roman von Paolo Cognetti. „Acht Berge“ ist ein episches Melodram über eine Freundschaft und zwei Lebensentwürfe. Erzählt durch einen betont männlichen Blick, der viel ausspart: Das Unausgesprochene bleibt Stärke und Schwäche sowohl der Freundschaft als auch des Dramas selbst. Gelungen ist der ambivalente Blick auf die Sehnsucht nach Erdung und Verwurzelung.
Ein Ort in den französischen Alpen: Die junge Clara wird nach einer Party von einem Mann mit Spiritus überschüttet und verbrannt. Der Nachwuchs-Kriminalbeamte Yohan (Bastien Bouillon) übernimmt den Fall. Die Spurensuche fördert schnell einige Verdächtige zu Tage – und zieht Yohann zunehmend in Abgründe. Der wahre, zugrundeliegende Mordfall wurde nicht gelöst. Jenseits der üblichen Genremuster richtet Dominik Moll („Lemming“) in „In der Nacht des 12.“ seinen Blick zuvorderst auf den Polizei-Alltag. Auf Routine, Strapazen und auf einen Zynismus, der auch vor dem Opfer keinen Halt macht: Die Ermordete ist rasch als „leichtes Mädchen“ gebrandmarkt. Grundlegend stimmt etwas nicht zwischen Mann und Frau. Kluge, pointierte Dialoge in einem ungewöhnlichen Kriminaldrama, das auch atmosphärisch mitreißt.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Emmanuel Gras' Dokumentation „Eine Revolution - Aufstand der Gelbwesten“, Marcel Kolvenbachs Kriegsopfer-Doku „Auf der Suche nach Fritz Kann“, Christoffer Sandlers ADHS-Liebesgeschichte „So Damn Easy Going“, Cordula Kablitz-Posts Band-Doku „FCK 2020 - Zweieinhalb Jahre Scooter“, Gerard Johnstones böser Puppen-Horror „M3gan“, Stephen Glovers Komödien-Revival „House Party – Fake it till you make it“ und Barbara Kronenbergs Jugendabenteuer „Mission Ullja Funk“.
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