Im Mittelpunkt von Pierre Pinauds zweitem Langfilm „Der Rosengarten von Madame Vernet“ steht die Rosenzüchterin Ebe (formidabel: Catherime Frot), die den maroden Betrieb ihres Vaters fortführt. Der große Antagonist des Films ist ein Großunternehmer namens Lamarzelle (Vincent Dedienne), dem es einzig und allein um die wirtschaftlichen Interessen geht. Schon im ersten Drittel wird der Film kurzzeitig zu einer Art Heist-Movie, weil Madame in ihrem Betrieb drei Hilfsarbeiter aus einem Resozialisierungsprogramm bei sich aufnimmt, von denen Fred (Melan Omerta) eine lange Vorstrafenliste als Einbrecher vorweisen kann. Durch ihn kommt die Rosenzüchterin auf die Idee, ihrem ärgsten Konkurrenten eine seltene Rosenart zu stehlen, um damit eine neue, preisverdächtige Kreuzung zu erstellen. Aber auch mit diesem spannungsreichen Teilhandlungsstrang erschöpfen sich Pinauds Ideen und Themenkomplexe nicht, denn auch Freds Hintergrundgeschichte wird im Film vertieft. In diesen Momenten geht es um die Überwindung von Vorurteilen, das Entdecken und Fördern individueller Talente, um Zusammenhalt, Freundschaft und den Wert eines jeden einzelnen für die Gemeinschaft. Bei etlichen anderen Regisseuren hätte diese thematische Vielfalt und inhaltliche Überfrachtung schnell dazu führen können, dass nichts mehr richtig funktioniert, dass der Zuschauer überfordert ist oder im Wust der Ideen den Überblick und letztendlich das Interesse verliert. Nicht so bei Pierre Pinaud. Der Filmemacher, der sich in seinen bisherigen Kurz- und Langfilmen immer für soziale Themen begeistert hat und klare Statements transportierte, weiß wieder ausgezeichnet die Balance zu halten, um sein Publikum in ein Wechselbad der Gefühle zu schicken.
Der Biowaffenexperte Wolf (Sebastian Blomberg) findet bei einem irakischen Asylbewerber Hinweise auf verbotene Waffen im Irak. Der deutsche Geheimdienst (Thorsten Merten überzeugt als Wolfs wendehalsiger Vorgesetzter) ist über diese brisanten Informationen ebenso begeistert wie der amerikanische. Doch dann bricht das Lügengebäude zusammen. Erst mit 9/11 gewinnt die vermeintliche Information wieder an Wert – egal, ob wahr oder falsch. Johannes Naber („Zeit der Kannibalen“) hat sich mit fiktionaler Überspitzung eines historischen Falls angenommen, der nicht nur die korrupten Methoden, mit denen Politik betrieben wird, sondern ganz allgemein den saloppen Umgang mit Wahrheit thematisiert. Fast schon resignativ erscheint seine Politsatire „Curveball – Wir machen die Wahrheit“, die dezente Thriller-Elemente mit sprödem Humor verbindet.
Fünf von ihren neun Jahren hat die junge Amerikanerin Allison (Abigail Breslin) in Marseille schon abgesessen – ein Mord wurde ihr zur Last gelegt. Ihr Vater Bill (Matt Damon) besucht sie regelmäßig. Als seine Tochter den Fall neu aufzurollen wünscht, fängt Bill eigenhändig an zu ermitteln. Die Theaterschauspielerin Virginie dient dem grobschlächtigen, sturen, aber aufrichtigen Amerikaner als Übersetzerin zur Seite und freundete sich mit ihm an. Tom McCarthy landete mit „Spotlight“ 2016 ein relevantes Thrillerdrama, mit dem er die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche in den USA packend beleuchtete. Auch wenn der Score den Film unangemessen seicht begleitet, gelingt McCarthy mit seinem fiktionalen Krimidrama „Stillwater – Gegen jeden Verdacht“ ein spannender Streifen, der mit Charaktertiefe, Humor und nicht zuletzt einer tollen Besetzung überzeugt.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Philipp Reichenheims Band-Doku „Freakscene - The Story of Dinosaur Jr.“, Václav Marhouls schonungsloses Schwarzweiß-Epos „The Painted Bird“, Marcus H. Rosenmüllers Kleinstadt-Komödie „Beckenrand Sheriff“, Damir Lukacevics Romanverfilmug „Ein nasser Hund“ und Rodolfo Sayaguess Horror-Sequel „Don't Breathe 2“.
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