„Meine Familie will mich loswerden“, meint Burt (wunderbar extrovertiert: Christian Bale, „American Hustle“) zu Harold (zurückgenommen: John David Washington, „Tenet“), als sich die beiden an der Front des Ersten Weltkriegs begegnen. Sie landen schwer verletzt im Lazarett, sind dort aber gut aufgehoben in den Händen von Krankenschwester Valerie (Margot Robbie, „The Suicide Squad“), die sich in Harold verliebt und sich mit beiden Männern nach Amsterdam absetzt. Dort festigt sich eine tiefe Freundschaft. 15 Jahre später stolpern Burt und Harold in New York über einen toten General und geraten in eine große Weltverschwörung: Mächtige Geschäftsmänner wollen mächtigen Ländern gefügige Diktatoren ins Nest legen. In Italien und Deutschland ist man bereits auf gutem Wege – jetzt visiert man das Weiße Haus an. Wenig später stehen die zwei Freunde unter Mordverdacht. Um die eigene Haut zu retten, müssen Burt und Harold den Fall selbst aufklären. Der gefeierte US-Regisseur und Drehbuchautor David O. Russell lässt in „Amsterdam“ augenzwinkernd Fakt und Fiktion aufeinander los. Und er setzt, das ist die Stärke des Films, auf Skurriles. Auf Typen. Auf Momente. Wenn Mike Meyers und Michael Shannon den drei Freunden als Spione der Alliierten begegnen, die sich als Vogelbeobachter ausgeben und Glasaugen verschiedenster Couleur anpreisen. Wenn Matthias Schoenaerts als Kommissar mit seinem nerdigen Kollegen (Alessandro Nivola) aufkreuzt. Oder wenn Valerie mit ihren beiden Jungs einen Nonsense Song anstimmt. Kurzauftritte für die Kurzweil, mal touchy, meist kurios. Talyor Swift, Robert De Niro, Anya Taylor-Joy, Rami Malek springen auch noch in die Bresche, und ein finaler, beherzter Appell verleiht dem historischen Mantel noch den aktuellen Zeitbezug.
Als der Zigaretten-Erbe Jan Philipp Reemtsma (Philipp Hauß) am 25. März 1996 in seiner Hamburger Villa entführt wird, bricht nicht nur für den Literatur- und Sozialwissenschaftler eine Welt zusammen, sondern auch für dessen Frau Ann Kathrin Scheerer (Adina Vetter) und den gemeinsamen 13-jährigen Sohn Johann Scheerer (Claude Heinrich). Gerade hatten sich Vater und Sohn noch beim Lateinüben gezofft – der Streit war noch beim schweigsamen Abendessen spürbar. Als Johanns Vater kurz darauf in sein Studierzimmer ins Nachbarhaus geht, ist es das letzte Mal für die kommenden 33 Tage, dass der Sohn ihn sieht. Statt seiner findet die Mutter einen Erpresserbrief. Die Entführer fordern 20 Millionen Mark. Hans-Christian Schmids „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ basiert lose auf dem 2018 erschienenen autobiografischen Erinnerungen des heute 40-jährigen Johann Scheerer an diese schwierige Zeit, mit „Unheimlich nah“ folgte im vergangenen Jahr ein Roman über eine Jugend, in der er aus Sicherheitsgründen permanent überwacht wurde. Scheerers Vater hatte bereits ein Jahr nach der Entführung seinen autobiografischen Rückblick „Im Keller“ veröffentlicht. Schon Scheerers Buch ist das Gegenstück zu einem Krimi, aber auch das Gegenstück zur Perspektive des Opfers. Beziehungsweise: Es ist der Blick eines Opfers zweiter Ordnung. Und alleine diese Perspektive macht Hans-Christian Schmids Film sehr besonders. Es ist das Porträt einer Familie im Extremzustand. Es ist aber vor allem ein Film über einen jungen Menschen, der versucht, diesen Extremzustand und die beteiligten Erwachsenen zu verstehen, obwohl er mit 13 Jahren eigentlich ja schon genug damit beschäftigt ist, seine eigene, pubertierende Gefühlswelt zu verstehen.
Alexandre (Ben Attal, der Sohn des Regisseurs Yvan Attal) studiert in den USA und ist kurz zu Besuch bei seinen getrennt lebenden Eltern in Paris. Seine Mutter Claire (Charlotte Gainsbourg) lebt nun mit Adam (Mathieu Kassovitz) zusammen, mit dessen Tochter Mila (Suzanne Jouannet) Alexandre auf eine Party geht. Danach zeigt Mila Alexandre bei der Polizei an, sie vergewaltigt zu haben. Der junge Mann ist perplex, vertritt auch bei den Verhören die Ansicht, dass Mila den Sex mit ihm ebenfalls gewollt habe und er keine Zeichen erkannt habe, dass er zu weit geht. Es beginnt ein zermürbender Prozess mit großem Medienecho, denn Claire ist eine bekannte Essayistin und Alexandres Vater Jean (Pierre Arditi) ein prominenter Fernsehmoderator. Geschickt hat Yvan Attal die vertrackte Geschichte in bewegte Bilder transferiert. Zunächst setzt er den Fokus auf Alexandre, dann auf Mila, um deren beider Versionen schließlich während der Prozesstage zusammenzuführen. „Menschliche Dinge“ ist brandaktuell, und gerade weil es hier nicht um das berufliche Machtgefälle zwischen Menschen geht, sondern zwei junge Menschen im Mittelpunkt stehen, die gerade erst ihr eigene Sexualität entdeckt haben, erhält die Geschichte noch einmal ganz neue, hoch-interessante Aspekte.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Pola Schirin Becks Drama „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, Claude Zidi Jr.s Komödie „Tenor: Eine Stimme - zwei Welten“, Shirin Neshats und Shoja Azaris Gesellschaftssatire „Land of Dreams“, Daniel Stamms Exorzistinnen-Variante „The Devil's Light“ und Pierre Morels Kriegsfilm „The Ambush“ (Cinedom, UCI). Für die Jugendfraktion starten Christian Ryltenius' und Tomas Tivemarks Animationsabenteuer „Mama Muh und die große weite Welt“ und Sebastian Niemanns Gespenster-Sequel „Hui Buh und das Hexenschloss“.
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