Wolfgang Beltracchi ist ein Verbrecher: Gewissenlos linkte er den Kunstmarkt, wagte es gar, sich noch an diesem zu bereichern, seinetwegen leiden millionenschwere Kunstsammler nun unter posttraumatischer Belastungsstörung – so oder ähnlich halten es Auktionshäuser und Galerien mit dem Meisterfälscher, der sie alle bloß gestellt hat. Für den Otto-Normalverbraucher ist das hippieske Schlitzohr ein Popstar, am 18.6. standen sie Schlange im Gasometer für ein Autogramm des Fälschers. Die Gelegenheit für eine Spurensuche zum Phänomen Beltracchi.
Ein kurzer Rückblick: Über Jahre hinweg malte Beltracchi Bilder im Stil großer Maler wie Max Pechstein oder Heinrich Kampendonk – signiert mit den Namen der Künstler, auf Kunstauktionen versteigert als verschollene Raritäten der großen Götzen. Manche seiner Bilder verkauften er und seine Frau Helene für 200 000 Euro, Jahre später stieg der Wert des fingierten Originals in die Millionenhöhe. 2011 wurde er überführt – nicht durch einen Kunstexperten, sondern eine chemische Untersuchung der Farbe.
„Wer Vertrauen in die Kunst setzt, muss verrückt sein heutzutage“, sagt Beltracchi. Oder: „Wer als Künstler heutzutage handwerklich was kann, der ist doch verpönt.“ Mit solchen Sätzen sind ihm nicht nur zustimmende Lacher, sondern auch der Applaus des Publikums sicher. Sein Diskussionspartner Phillip Reichling, katholischer Rundfunkbeauftragter des WDR und Kunsthistoriker, wirkt etwas blass dagegen. Er spricht von Innovation und Idealen, vom romantischen Bild des Künstlers, der für seine Vorstellungen auch durch die Armut ging, Von Gogh zum Beispiel. „Der hatte doch alle Möglichkeiten, der war nur verrückt“, entgegnet Beltracchi – und spricht nicht von Idealen, sondern vom Handwerk, zeichnet das ganz profane Bild eines Künstlers, der ohne großspurigen theoretischen Überbau einfach nur gerne malt. Und dazu auch noch gut.
Beltracchis persönliches Feindbild: Postmoderne Konzeptkunst, in der es nur um die Idee geht, nicht ums Können. Und genau da liegt der Schlüssel zum Verständnis des Fantums um den Fälscher: All die wild zusammengeschweißten Metallplatten, in Gedenken an irgendetwas aufgestellten Steinstelen oder zur Säule zusammengepressten Autos in deutschen Innenstädten, die zum Unverständnis vieler als Kunst deklariert werden – Beltracchi ist der Gegenentwurf. Nicht nur durch sein handwerkliches Genie, dass ihm nicht einmal Pater Reichling abzusprechen wagt, sondern eben auch durch seine Schlitzohrigkeit. Einem dekadenten Kunstmarkt, der an Dingen verdient, die der gemeine Betrachter sowieso nicht versteht, schlägt kein Mitgefühl entgegen. Einem unbedarften Handwerker, der sich einfach nimmt, was ihm seiner Meinung nach zusteht – damit können sich viele Menschen identifizieren.
Beltracchi als Antiheld im dekadenten, weltfremden Kunstbetrieb? Besteht seine Kunst, wenn man ihm das zugesteht, vielleicht eben darin, dass er die Gewissheit von Original und Fälschung zerstört hat? Er selber ist da unbedarfter: „Ich hatte ja niemals vor, den Kunstmarkt vorzuführen – das hat er selber gemacht“, sagt er. „Mir ging’s immer nur ums malen“.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Auf und mit der Oberfläche
Wilhelm Wessel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24
„Die Berührung impliziert eine Verbindung zum Objekt“
Generaldirektor Felix Krämer kuratiert „Tony Cragg: Please Touch!“ im Kunstpalast Düsseldorf – Sammlung 02/24
Ausdruck der Zeit
Expressionismus-Sammlung im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Kunstvolle Stahlarbeiten
„work comes out of work“ in Bochum – Kunstwandel 01/24
Räume beleben
„Our house is a very very very fine house“ im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 01/24
„Das Digitale ist Teil unserer Welt“
Alain Bieber über „Tim Berresheim. Neue alte Welt“ in Düsseldorf – Sammlung 01/24
Das bisschen Haushalt …
„Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop – Ruhrkunst 12/23
Unorte im Fokus
„Die Stadt ist anderswo“ im Bochumer Museum unter Tage – Ruhrkunst 12/23
Der ideale Mann im Symbolismus
„Unheimlich schön“ im MKK Dortmund – Kunstwandel 12/23
Der Kern der Dinge
Zwischen Konzept und Skulptur: Alicja Kwade im Lehmbruck Museum in Duisburg – kunst & gut 12/23
„Obwohl wir Energie verbrauchen, strahlen alle Arbeiten Energie aus“
Museumsdirektor John Jaspers über„Energy / Energie“in Unna und Soest – Sammlung 12/23
Masken und Gesichter
Christoph M. Gais im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 11/23