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Theater Oberhausen
Foto: Presse

Vom Wir zum Überleben

29. Januar 2015

Zweimal Elfriede Jelinek in Ruhrgebiets-Theatern – Prolog 02/15

Ach die Elfriede. Sie durchzieht alle Theater wie ein Nebelschwaden, durch den man das Wesen ihrer Texte erahnen muss. Und soll. Denn die österreichische Nobelpreisträgerin ist schier allgegenwärtig mit ihren Stücken. Gleich zwei von ihnen haben im März im Ruhrgebiet Premiere. Da wäre einmal „Wolken.Heim.“. Ein Stück auch über den merkwürdigen Nebel, der gerade wieder durch unsere Republik weht. Das seltsame deutsche Wesen ruht im Boden, es wächst in den Wäldern, es bricht aus den Felsen. Es erwacht, erhebt sich, blickt aus vielen Augenpaaren. Sein Denken und Fühlen ist eins mit dem Grund, auf dem es steht. Es ist bei sich zu Hause, gern auch in großen Städten, liebend gern in östlichen Landen. Dabei öffnet es immer den Mund und gibt sich einen Namen: „Wir!“ Wir Patrioten, wir bedrohter Körper, und dann diese Linie, die gezogen werden soll, eine Demarkationslinie, eine Grenze, und dahinter das Andere, das Fremde, die Gefahr. Aus diesem Denken wird Wille, aus dem Willen Tat. Und aus dem „Wir“ wird ein Volk, werden Deutsche, Wutbürger, Patrioten. Wie oft schon, wie immer? Jelineks 1988 verfasster Identitäts- und Heimatmonolog kennt keine Akteure oder Rollen. Es artikuliert sich ein Kollektiv in einer kaskadenhaften Collage von Zitaten aus Dichtung, idealistischer Philosophie und Propaganda, die sich unter anderem aus Texten von Fichte, Hölderlin, Kleist, Heidegger und Schriften derRAFspeist. Und die Wörter scheinen zeitlos, in Gene gegossen, damals wie heute. Das Theater der Dekonstruktion offenbart die Grundmuster, die heute wieder in einen neuen deutschen Nationalismus und damit letztendlich im Faschismus münden wollen. Die, die das „Wir“ gerade vergiften wollen und die notorischen Mitläufer, sollten nach Essen ins Theater fahren und hinter die Nebelschwaden der Elfriede Jelinek horchen.

In Oberhausen geht es dann um die späten Folgen, im Grunde genommen um das schiere Überleben. Jelineks Text „Die Schutzbefohlenen“ greift auf die Anfänge der griechischen Tragödie zurück, auf ein Werk des ersten der drei großen griechischen Dramatiker: auf Aischylos. Der hat wohl das zeitgenössische Ringen um Lampedusa und seine Folgen bereits im ersten Jahrtausend analysiert: Danaos flieht mit seinen 50 Töchtern vor seinem Bruder Aigyptos und dessen 50 Söhnen, die ihm nach dem Leben trachten. In Argos flehen sie beim herrschenden König Pelasgos um Aufnahme und Schutz. Dadurch gerät Pelasgos in einen Konflikt. Eigentlich müsste er den ursprünglich aus Argos stammenden Frauen den Aufenthalt gewähren und sie schützen, doch er riskiert einen Krieg mit ihren Verfolgern. Soll er also lieber seinen eigenen Staat schützen, um einer inneren Moral Genüge zu tun? Jelinek beantwortet diese Frage mit einem einzigen Wort. Indem sie aus den Schutzflehenden, die um Asyl bitten, ohne zu wissen, wie ihre Bitte angenommen werden wird, die Schutzbefohlenen macht, verändert sie die Gesamtperspektive. Also alles ganz einfach?

„Wolken. Heim.“ | So 1.3.(P) 19 Uhr | Theater Essen (Casa) | 0201 812 26 00
„Die Schutzbefohlenen“ | Fr. 27.3.(P) 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 857 81 84

PETER ORTMANN

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