Diese Wiederentdeckung ist mehr als verdient und der 100. Geburtstag ist ein guter Anlass. Hans Kaiser wurde 1914 in Bochum geboren, wo er auch aufwuchs, ehe er im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges zunächst in die Soester Börde und dann nach Soest umzog und dort bis zu seinem Tod 1982 lebte. Während das Wilhelm-Morgner-Haus in Soest derzeit Entwürfe und Ausführungen zu den Glasfenstern vorstellt, mit denen er zu Lebzeiten den größten Erfolg hatte, widmet sich das Kunstmuseum Bochum der freien Malerei auf Leinwand und Papier. Die Ausstellung ist aber keine Retrospektive. Sie verzichtet auf die frühen abbildhaften und die geometrisch gegliederten Bilder und konzentriert sich stattdessen auf die Malereien, die ihren Ursprung im Schreiben als zeichnerische Handlung haben. Konstitutiv und stabilisierend wirkt die Schrift auf der Bildfläche, als visuelle Erscheinung und Ausgangspunkt, über den Kaiser in einem zügigen Duktus ein flimmerndes Bildgeschehen gelegt hat. Mit Kalligraphie hat dies aber nichts zu tun, auch wenn sich Kaiser mit fernöstlicher Dichtkunst beschäftigt hat. Hingegen lässt sich seine Malerei der Kunstrichtung des Informel zurechnen: In der Abstraktheit der Darstellung, im ungebundenen, geradezu lyrischen Pinselstrich und im feinen Gefühl für Farben, die oft als Tuschflecken aufgetragen sind. Kaisers Malerei zeigt ein Blühen und Wachsen und hält atmosphärische Stimmungen fest. Kaiser malt Weiß um die Farbstrukturen, die auf diese Weise weiter zu Form gelangen und nun eine große Leichtigkeit besitzen. Sie tragen meditative Qualitäten und entwickeln Bildräume, welche wie Fenster in eine andere Welt wirken. Im Bochumer Kunstmuseum belegen dies besonders die späten Bilder, die separiert für sich ausgestellt sind. Sie verzichten fast ganz auf Schrift und zeigen stattdessen monochrom blaue Bildräume, die zwischen Meer und Himmel, Unendlichkeit prophezeien. In den dichten, dunklen Farbflächen liegt noch Farbe wie Lichtreflexe oder Sterne: Alles Unruhige ist hier aus den Bildern gewichen – ein echtes Spätwerk eben.
„Hans Kaiser – Imaginäre Räume“ | bis 27.4. | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Räume beleben
„Our house is a very very very fine house“ im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 01/24
Kunst zum Geburtstag
Das Kunstmuseum Bochum wird befragt
„Toll für die Stadt, dass wir dieses Museumsgebäude haben“
Kuratorin Julia Lerch Zajączkowska über die Jubiläumsausstellung des Kunstmuseums Bochum – Sammlung 11/23
40 Jahre Neubau
Jubiläum im Kunstmuseum Bochum
Alle mal spielen!
Takako im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 05/23
Das Rätsel des roten Steins
Inventur im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 02/23
Kulissen und Kojoten
Ian Page im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 10/22
Brauchtum im 21. Jahrhundert
„Von den Vorfahren geleckt“ im Bochumer Kunstmuseum – Kunstwandel 04/22
Vom Zeigen und Verschwinden
Sieben Künstlerinnen im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 01/22
Eine unerwartete Erbschaft
„Kunst lesen“ in Bochum
„Er war fürchterlich enttäuscht von Picasso“
Sepp Hiekisch-Picard über die Ausstellung zu Anselme Boix-Vives – Sammlung 09/21
Winzige Welten
Friederike Klotz im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 08/21
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
Ausdruck der Zeit
Expressionismus-Sammlung im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Das bisschen Haushalt …
„Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop – Ruhrkunst 12/23
Unorte im Fokus
„Die Stadt ist anderswo“ im Bochumer Museum unter Tage – Ruhrkunst 12/23
Konkret gemalt
„Colours and Lines in Motion“ in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 11/23
Auf nach Phantásien!
Illustrationen zu Michael Endes Geschichten in Oberhausen – Ruhrkunst 10/23
Im Herzen des Bunkers
Marianne Berenhaut in Recklinghausen – Ruhrkunst 09/23
Zur Liebe
„love/love“im Künstlerhaus Dortmund – Ruhrkunst 09/23
Auf Zeitreise
„Ein Blick zurück“ im Lehmbruck Museum in Duisburg – Ruhrkunst 09/23