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„Auf der großen Straße“
Foto: Joachim Schmitz

Schatten voller Beiläufigkeit

26. März 2015

Anton Tschechows „Auf der großen Straße“ in Mülheim – Theater Ruhr 04/15

Unter dem Chador sind alle gleich. Die Rechtgläubigen und die Säufer. In Tichons Herberge an der großen Straße sind sie fein säuberlich getrennt, nur der eiskalte Ofen trennt die Parteien, die sich vor einem Unwetter in die Herberge geflüchtet haben. Es donnert, es grollt, Obertongesang und Düsenflieger, langsam hebt sich im Theater an der Ruhr der Vorhang und gibt den Blick frei auf ein lebendiges Gemälde, langsam ganz langsam regen sich dort die schwarzen Gestalten vor dem Bluescreen. Weiße Sockel und Kästen, mehr hat die Kneipe für 10 Rubel pro Person nicht zu bieten und doch tun sich hier Abgründe auf zwischen Himmel und Hölle. Mit Gottes Hilfe wollen die Schatten den Morgen erwarten, oder mit viel Wodka, wenn sie ihn bezahlen können. Der Ping eines Sonargerätes durchzieht den Abend, es wird keinen Kontakt finden in dieser Herberge.

Jo Fabian inszeniert Tschechows frühe dramatische Skizze mehr als visuelle Performance denn als Einakter. Es ist ein Loblied auf die allgemeine zeitlose Beiläufigkeit des Lebens, die auch rezitiert wird. Kein Satz, dem im Sprachklang irgendeine Bedeutung beigemessen wird, keine Regung, die eine Aussage belegt. Nur zwischen den Szenen, da wird getanzt auf der silbernen Spiegelfläche, die einen wie die Derwische aus Konya, die andern nach der „New World Order“, das Prinzip ist austauschbar, alle streben nach Bestätigung im Verharren in der Beiläufigkeit. Die gestrandeten Landstreicher ebenso wie die abstinenten Rechtgäubigen oder die Säufer. Tichons Herberge ist die Welt und drum herum ist nur wütende Natur. Jo Fabian spielt mit Schatten, die hinter den Protagonisten ein Standbild erzeugen, flüchtige Abbilder flüchtiger Momente, kaum tauscht man Belehrungen aus, sind die Gedanken auch schon wieder verschwunden, langsam, ganz langsam. Erst als der Säufer als von der Liebe betrogener Gutsbesitzer identifiziert ist, organisiert sich der Haufen neu, es entsteht augenblicklich eine Hackordnung des Standes. Als die Frau, die ihn betrog, auftaucht, will man sie erschlagen, doch draußen schneit es. Was ist der Sinn? Zumindest Theater vom Feinsten.

„Auf der großen Straße“ | R: Jo Fabian | Do 2.4., Fr 24.4. 19.30 Uhr | Theater an der Ruhr, Mülheim | 0208 599 01 88

PETER ORTMANN

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