Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.558 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Amphitryons Frau ist schwanger und Jupiter ist Schuld.
Foto: Birgit Hupfeld

Nieder mit den Göttern

27. März 2014

Lisa Nielebock inszeniert Heinrich von Kleist in Bochum – Theater Ruhr 04/14

Eine Spiegelwand beherrscht die Bühne. Die Spiegelwelt darin sind die Zuschauer, die nie ganz im Dunkel sitzen und damit zu Protagonisten in einem Spiel werden, das „Amphitryon“ heißt, aber eigentlich nur Mittel zum Zweck erscheint, die Wahrnehmung von Realität auf den Kopf zu stellen. Lisa Nielebock inszeniert Heinrich von Kleist in den Bochumer Kammerspielen. Ein Lustspiel nach Molière soll das sein, doch es ist die gruseligste Abrechnung mit dem menschlichen Dasein schlechthin. Lachen ja, aber worüber eigentlich? Da sitzen sie und freuen sich über den linkischen Blödmann Sosias, der angesichts einer bösartigen Täuschung mit seinem Ebenbild konfrontiert wird, da schmunzeln sie über einen steifen Amphitryon, der angesichts des nicht mehr begründbaren Selbst am Rande des Zusammenbruchs seiner Welt umherirrt. Götter aus dem Olymp waren es, die solch grausames Spiel trieben, diese niederträchtigen Mistkerle, die quer durch die Antike Persönlichkeiten stahlen, um sich unter den Menschen zu vergnügen, Halbgötter in die Welt setzten und blutige Zwiste ankurbelten. Zum Piepen. Ja, und wirklich komödiantisch, dumm nur, dass dieser Spiegel auf der Bühne genau die Zielgruppe beschreibt, auf die es die Mächtigen mit ihrem Wechselbalgspielen abgesehen haben. Oder sollte tatsächlich jemand denken, der olle Kleist hätte die zeitgenössische Spaßgesellschaft bereits während der Romantik erfunden?

Mit sechs ausgezeichneten Schauspielern schafft es die Regie, diesen Zustand der gespiegelten Welt aufrecht zu halten, ab und an wird die Wand mal gedreht, man sieht die rohe Realität dahinter, doch ändern tut sich an der Sachlage nichts: Jupiter hat dem erfolgreichen Feldherrn Amphitryon die Persönlichkeit gestohlen und damit auch die Frau, die Gewalt über sein eigenes Leben und die Bestimmungshoheit über sein Handeln. Da geht nichts mehr. Nicht einmal die Erkenntnis, dass es wenigstens Gott war, der das angerichtet hat und schon gar nicht die Aussicht auf einen unehelichen Herkules. Götter gehören einfach ausgerottet. Punkt. Nur wenn das nach dem Besuch der wunderbaren Inszenierung im Kopf herumgeistert, wurde alles richtig gemacht – beim Zusehen.

„Amphitryon“ | R: Lisa Nielebock | Fr. 4.4. 19:30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Die ultimative Rache vor weißer Schleife
„Die Fledermaus“ mit Schauspielstudierenden an den Kammerspielen Bochum – Auftritt 04/24

„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24

Die Fallstricke des Anthropozäns
„Früchte der Vernunft“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 09/23

Puzzlestücke des Elends, Papiermasken für Mitgefühl
Alice Birchs „[Blank]“ in den Kammerspielen Bochum – Auftritt 06/23

„Jede Person hat zwei Rollen“
Friederike Heller über „Das Tierreich“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/23

Das Versinken von Erinnerung
„Der Bus nach Dachau“ bei den Bochumer Kammerspielen – Auftritt 12/22

Dekadenz und Obsession
„Der große Gatsby“ an den Bochumer Kammerspielen – Prolog 06/22

Von Jahoo, einem Unsichtbaren und Prinzessinnen
Ruhr-Theater-Ostereier im April – Prolog 03/20

Das ewige Prinzip Projektion
Das winterlich Weibliche im kurzen Monat – Prolog 01/20

Heilige Reinigung durch Zerstörung
Kollektive Performance über Heiner Müllers „Hydra“ in Bochum – Auftritt 01/20

Schauspielspezialitäten
Interessantes Oktober-Theater an Ruhr und Niederrhein – Prolog 10/19

Fleisch oder Silikon?
Der kürzeste Theatermonat des Jahres – Prolog 01/19

Theater Ruhr.

Hier erscheint die Aufforderung!