Am Ende sind sie wieder alle barbusig. Nicht die weiblichen Konzertbesucher, von denen mehr da sind, als erwartet. Auch nicht alle Bandmitglieder auf der Bühne. Sondern die dickeren Männer mittleren Alters, mittendrin. Nach zwei Vorbands und anderthalb Stunden Lokalmatadoren schleudern sie ihre bierdurchtränkten T-Shirts. Nicht unbedingt ästhetisch, aber glücklich und zufrieden sieht das aus.
Die Mehrheit mag unter Kultur etwas anderes verstehen. Wenn es aber Industriekultur gibt, dann sind auch die Lokalmatadore ein waschechtes Stück Ruhrgebietskultur. Seit 30 Jahren sind Bassist Rommel und Gitarrist Bubba unterwegs, 1987 kam Sänger El Fish dazu und weitere fünf Jahre darauf Drummer Blüm. Sie singen von den wirklich wichtigen Dingen wie Bier, Frauen und natürlich Fußball. Das hat Punk in seiner weniger politischen Prägung immer schon gemacht, Musik insgesamt auch. Selbst der gute Wolfgang Amadeus Mozart, bekanntlich ein Filou, hätte wohl auch die ein oder andere Schweinerei von Wein, Weib und Gesang zu erzählen gehabt.
Während der zweite Supportact „Dritte Wahl“ eher monoton daher kommt, sind die „Lokalis“ musikalisch alles andere als prollig. Fairerweise muss gesagt werden, dass eine spontan vor dem Eingang geführte Unterhaltung mit dem herzlichen Pottgesocks eine Beurteilung von „Peacocks“, dem ersten Support-Act, unmöglich macht. Auch das ist das Ruhrgebiet: Draußen stehen, Bier trinken, mit wildfremden Menschen ins gute Gespräch kommen.
Seit drei Dekaden auf der Bühne: "Die Lokalmatadore". Foto: Markus Toenges
Mehr möchte man dann aber von dem von den Lokalmatadoren selbst als „Männer Rock’n’Roll“ beschriebenen Liedgut nicht verpassen. Dieses erzeugt sofort einen beeindruckenden Pogopit in der großen Halle der Essener Zeche Carl. Selbst zehn Meter von der Bühne entfernt ist man selbst – wie auch das Bier, welches man vergeblich durch die Menge zu balancieren versucht - vor der pogenden Meute nicht sicher. Das Konzert ist völlig ausverkauft. Mögen Textzeilen wie „Pipi machen, Zähne putzen, ab ins Bett“ auch nicht moderner Lyrik entsprechen, handwerklich haben die Lokalmatadore ihre Instrumente im Griff. Im Gegensatz zu ihren Wattenscheider Kollegen „Die Kassierer“ werden Fäkalhumor und gelegentliche, verbale Entgleisungen immer auch von einem Augenzwinkern begleitet. Bisweilen tritt sogar ein kluger Witz zu Tage, man höre nur einen Klassiker wie „Wir hassen die Ramones“.
Das Quartett aus Mülheim an der Ruhr ist auf dem Boden geblieben, freut und feiert an diesem Freitagabend sich selbst und ihr dreißigjähriges Bestehen. Beim letzten Song der Zugabe steckt man plötzlich selbst, aller journalistischen Distanz zum Trotz, in den Armen eines der eingangs erwähnten, dicken Männer, grölt im Duett den Refrain „Gott erschuf den S04 / die Frauen und das Bier / Gott erschuf das Ruhrrevier“. In diesem Moment hat man eine ebenso authentische Facette der oft zitierten Ruhrgebietsmentalität erlebt, als ob man den Gasometer bestiegen, das Bergbaumuseum besucht oder den Tetraeder erklettert hätte.
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