Bochum, 8.3. – Auf ihrem Hof im polnischen Platerówka spricht die 86-jährige Edwarda über ihren Gemüsegarten. Darüber, welches Gemüse sie am liebsten anbaut und wie es am besten gedeiht. Ilse Kaper arbeitet derweil in ihrem Garten. Beide könnten ewig über den Gemüseanbau reden. Damit kennen sie sich aus. Doch obwohl sie hunderte Kilometer voneinander entfernt leben, haben sie noch viel mehr gemeinsam als das bloße Interesse am Gartenbau. Denn Edwardas Garten ist Ilse nicht fremd. Schließlich hat sie selbst dort gelebt, bis sie vertrieben wurde. Das Union Filmtheater in Bochum zeigte anlässlich des Internationalen Frauentages ihre Dokumentation über sechs Frauen aus drei Generationen, die unfreiwillig in das Leben der jeweils anderen traten.
Gemeinsam mit Dirk Szuszies begab sich Karin Kaper auf die Reise in die Verangenheit ihrer Familiengeschichte, die sich unweigerlich mit der Geschichte einer anderen Familie kreuzt. Kapers Mutter Ilse und deren Schwester Herta lebten in den 30er und 40er Jahren mit ihrer Familie in dem Dorf Niederline, dem heutigen Platerówka. Sie wachsen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges auf: Ihren Bruder verlieren sie an der Front. Was Ilse und Herta nicht wissen: 1945 ist ihr Hof bereits einer anderen Familie versprochen. Ein Jahr später sollen sie von russischen Truppen in die Nähe von Bremen umgesiedelt werden. Edwarda lebte mit ihrer Familie in Ostpolen, bis sie unter der Herrschaft Stalins nach Sibirien vertrieben wurde, wo sie Zwangsarbeit verrichten musste. Als sie nach Jahren der unfreiwilligen Reisen und Heimatlosigkeit den Hof der Familie Kaper in Niederlinde zugesprochen bekommt, bezieht sie diesen nicht sofort. Stattdessen lässt sie vorerst ihren Vater dort wohnen, der fortan mit der deutschen Familie unter einem Dach lebt. Das Verhältnis der Familien ist angespannt. Nach einiger Zeit übernimmt Edwardas Familie den Hof und Ilse und Herta ziehen nach Syke bei Bremen.
Die persönliche Familiengeschichte in einem Film aufzurollen, erfordert viel Sensibilität. Auch Regisseurin Karin Kaper erzählt davon, wie sie ihre Mutter überreden musste, so offen über ihre Vergangenheit zu sprechen. Der Film baut sich um das Treffen der sechs Frauen auf: Karin Kaper besucht gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Tante Edwarda sowie deren Tochter und Enkelin auf dem Hof, den beide Familien bewohnt haben. Die Frauen zeigen Fotos aus ihrer Jugend. Der Film wird begleitet von einer nostalgischen Grundstimmung, die durch schöne wie schmerzhafte Erinnerungen geprägt wird. „Aber das Leben geht weiter“ erfordert dabei jedoch Grundkenntnisse der Kriegszeit, denn der Film geht auf die Situation in Städten wie Niederlinde, die schließlich zu polnischem Herrschaftsgebiet erklärt wurden, nicht näher ein. Auch der emotionale Tiefgang fehlt. Die Scheu vor der zu detaillierten Darstellung der eigenen Vergangenheit ist auf der einen Seite nachvollziehbar, auf der anderen Seite erschwert sie die authentische Dokumentation der Lebenswege der sechs Protagonistinnen. Über die Zeit der Umsiedelung sowie das Zusammenleben beider Familien erfährt der Zuschauer wenig.
Was Karin Kaper in „Aber das Leben geht weiter“ erfolgreich darstellt, sind sechs starke Frauen, welche die Zeit des Krieges auf völlig unterschiedliche Weise kennengelernt haben und mit ihren Erzählungen dadurch einen facettenreichen Blick auf ihr Leben in Niederlinde werfen. Aus dem anfangs angespannten Verhältnis beider Familien ist mittlerweile eine „innige Freundschaft“ gewachsen, so Kaper. Das zeigt sich in der Schlussszene des Films. Die Frauen, die ihr Zuhause an fremde Menschen abgeben mussten, liegen ebenjenen in den Armen. Dass sie sich wiedersehen werden, steht für sie außer Frage.
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