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Szene aus „Gwana“
Foto: Paula Caldas

Brasilien erfolgreich mit europäischer Strenge

16. Juli 2014

Die Companhia aus São Paulo war am 11. Juli in der Oper Köln – Tanz in NRW 07/14

Beim Tanz gibt es eine Form von Präzision, die – wenn sie in Perfektion beherrscht wird – jedes Publikum still und zugleich sehr aufmerksam werden lässt. Die Präsenz der São Paulo Companhia de Dança ist so nachhaltig, dass gleich mit dem ersten Bild auch ihr Publikum hellwach dem Geschehen folgt. Dabei beginnt das Gastspiel der jungen Truppe, die zum Aushängeschild ihres Landes in der internationalen Tanzszene geworden ist, mit einem Stück, das kindliche Motive aufnimmt. Allerdings führt die Beschäftigung mit der Kindheit auch schnell zu essenziellen Motiven des Menschseins.

Wenn kleine Kinder Verstecken spielen, halten sie sich die Augen zu und denken, dass sie für die anderen unsichtbar seien. Dann heißt es „Kuckuck“ oder „Peekaboo“, wie die Engländer sagen, und schon ist man wieder sichtbar. Ein Spiel, das die Tänzer der São Paulo Companhia de Dança bei ihrem Gastspiel in der Oper am Rhein paraphrasieren, indem sich Männer und Frauen einen Hut vor das Gesicht halten. Gleich Spielzeugfiguren agieren die Tänzer. Ein Feuerwerk an Bewegung entlädt sich da vor den staunenden Augen des Kölner Publikums.

Die Choreographie zu „Peekaboo“ stammt vom gebürtigen Wuppertaler Marco Goecke, getanzt wird sie mit hohem Tempo von der jungen Truppe aus dem Süden Brasiliens. Zur Musik von Benjamin Brittens melodiöser Jugendkomposition „Simple Symphony“ bewegen sie sich kurz und abrupt gleich Insekten oder mechanischen Gestalten. Fremdgesteuert wirken diese Körper, ein großes Ballett mit Bewegungen, denen die Frische eines eigenen Stils Ausstrahlung verleiht.

Auch im zweiten Stück des Abends, der Komposition „Gnawa“ von Nacho Duato zaubern die Brasilianer eine dichte Atmosphäre auf die Bühne, obwohl ihre Requisiten aus nicht mehr als ein paar Kerzenlaternen bestehen. Südspanische Aromen in Musik und Choreographie vermischen sich mit Einflüssen aus dem Norden Afrikas. Es liegt ein sattes Licht des Nachmittags über den Szenen, das den Gesten Gewicht verleiht. Und wieder gelingt der Companhia das Kunststück, ganz ohne Erzählung oder Metaphern eine Produktion alleine aus ihrem Bewegungsrepertoire und einer starken Präsenz der Tänzer zu entwickeln.

Stets suchen sie nach dem schönen Bild, ohne dabei in erstarrte Muster des Kitschs zu verfallen. Der Szenenapplaus ist ihnen auch so sicher. Es sind denn auch immer wieder die Gruppenbilder, die beeindrucken – die aber nicht ornamental arrangiert sind, sondern in denen die Truppe den kompletten Bühnenraum besetzt. Das verleiht den Aktionen Wucht und es betont die Gegensätze von Männern und Frauen in ihren gemeinsamen Aktionen.

Wie stark die Perfektion des klassischen Balletts von den Brasilianern in den Modern Dance übernommen wird, zeigt die Choreographie „In the middle, somewhat elevated“. Rudolf Nureyev gab sie 1987 bei William Forsythe in Auftrag. Man fühlt sich in einen Ballett-Saal versetzt, wo in jeder Ecke gearbeitet wird. Hier gibt die Campanhia etwas von ihrem Stil auf, indem sie hemmungslos der Virtuosität huldigt. Jeder darf zeigen, was er kann und das ist in jedem Fall imponierend viel, dafür opfert man dann ein Stück eigenen Ausdruck. Freilich erliegt das Publikum schnell dieser imponierenden Demonstration klassischer Ballettfiguren, die im modernen Gewand daher kommt. Die Brasilianer wissen, was sie tun. So tilgen sie jeden Einfluss südamerikanischer Folklore und zeigen sich ganz unmittelbar beeinflusst von den modernen Traditionen Europas. So bietet die Companhia Choreographien von würdevoller Strenge, die sich immer wieder zu wuchtigen Gruppenbildern finden, die den Bühnenraum der Oper bis an den Rand ausspielen und zugleich betörend schöne Gruppenaufnahmen bieten. Tanzkunst auf höchstem Niveau, die Brasilien mit einem Augenzwinkern repräsentiert, und zugleich fast europäischer agiert, als es den Truppen des Alten Kontinents überhaupt möglich erscheint.

Thomas Linden

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